Das Gluecksarmband
machte und ich davon merkwürdige Träume bekam. Außerdem hatte ich gar keinen Appetit mehr. Doch das Schlimmste für mich ist, dass ich von meinem Mann getrennt bin.
Ich taste nach dem nächsten Anhänger. Es ist … das Karussell! Einer meiner liebsten. Jeff hat ihn mir nach Gregs drittem Geburtstag geschenkt. Wir waren mit ihm nach Coney Island gefahren, und Jeff hatte mit ihm auf einem Karussellpferd gesessen. Anschließend waren wir den langen Brettersteg entlangspaziert und hatten bei Nathan Hot Dogs gegessen … Ich vermisse das gerade schmerzlich, also lasse ich den Anhänger wieder los.
Ich bin jetzt immer in einem traumähnlichen Zustand. Jeff und Greg kommen und gehen und versuchen, mit mir zu sprechen, aber ich nehme sie nur wie durch einen Nebel wahr.
Ich habe keine Angst vor dem Sterben. Als ich die Diagnose erhielt, war das anders – da verfolgte die Angst vor dem Tod mich ständig. Ich war noch nicht bereit, ich fürchtete mich vor dem, was ich auf der anderen Seite vorfinden würde, aber inzwischen denke ich einfach nicht mehr darüber nach.
Sterben erscheint mir jetzt wie einschlafen. Bald werde ich in eine tiefe Bewusstlosigkeit hinübergleiten und nicht mehr aufwachen, das ist alles. Keine große Sache. Außer dass ich alle irdischen Freuden hinter mir lassen muss, und die Menschen hier auf der Erde auch. Das fällt mir schwer. Gibt es sonst noch etwas zu sagen? Oder zu tun? Wie oft kann ich meiner Familie sagen, dass ich sie liebe, bevor sie mich loslassen? Ich spüre, dass Jeff mich mit aller Kraft festhält, und ich weiß, dass er unentwegt um ein Wunder betet. Aber damit hält er mich bloß hier und lässt mich nicht gehen.
Ich denke an meine Eltern. Sie sind früh gestorben. Sie haben hart gearbeitet, sieben Tage in der Woche, ohne Ferien. Mein Vater war so stolz, als er das Deli endlich kaufen konnte. Als ich Jeff heiratete, waren sie zwar verblüfft, freuten sich aber. So lange waren wir nur zu dritt gewesen. Ich weiß, dass ich immer ein bisschen traurig war, weil ich das Lächeln meiner Mutter zurückließ. Jeff und ich hatten meinen Eltern zwar angeboten, dass sie bei uns wohnen könnten, aber sie hatten abgelehnt. Stattdessen blieben sie in der kleinen Wohnung oben über dem Deli, in der sie schon viele Jahre gelebt hatten. Nachdem ich fort war, starben sie bald, Vater an einem Herzinfarkt und Mutter an … Einsamkeit? Nach Vaters Tod hatte ich sie zu überreden versucht, das Deli zu verkaufen, aber auch das hatte sie abgelehnt. Als alles vorbei war, fuhr ich jahrelang nicht mehr nach Alphabet City, erst wieder nach Gregs Geburt. Die Veränderungen in meinem alten Viertel schockierten mich so, dass ich mir schwor, den Orten in New York, die ich kannte und liebte, treu zu bleiben. Ich würde sie nicht vergessen, sondern sie regelmäßig aufsuchen.
Als Greg anfing zu fotografieren, wurde es fast zu einem Spiel. Es machte Spaß, durchs Objektiv zu schauen und gerade die kleinen, unauffälligen Veränderungen festzuhalten. Die Schrift auf der Markise eines Kinos wurde geändert, ein Gebäude wurde im Laufe von einigen Monaten hochgezogen.
Ach, wie ich diese Stadt liebe, wie sehr ich sie immer geliebt habe. Ich frage mich, ob dieses Jahr mein letztes hier auf Erden sein wird, oder ob ich unsere alljährliche Verabredung noch einhalten kann, ob ich das Versprechen, das mein Mann und ich uns gegeben haben, noch einmal einlösen kann.
32
G reg hatte etwas vor. Nachdem er am Morgen erst spät aufgewacht war, hatte er eine SMS von Karen erhalten. Sie wollte vorbeikommen und ein paar von ihren Sachen abholen.
Er entschied sich, in die Park Avenue zu fahren, denn er wollte nicht zu Hause sein, wenn sie kam. Ihm war klar, dass sie sich irgendwann wie zwei erwachsene Menschen würden unterhalten müssen – schließlich war zu überlegen, was mit den vielen Dingen im Haus geschehen sollte, die ihnen gemeinsam gehörten. Aber das hatte noch Zeit.
Greg antwortete ihr, sie habe ja einen Schlüssel und solle ruhig kommen, er würde nicht da sein.
Er fragte sich kurz, wo Karen wohl übernachten würde, bis sie eine neue Wohnung gefunden hatte. Aber es war ihm eigentlich egal. Von ihm aus konnte sie sich bis zu ihrem Lebensende mit «Jack» im Plaza verkriechen. Karens Angelegenheiten gingen ihn jetzt nichts mehr an.
Trotzdem konnte er kaum fassen, dass sich seine Welt in kürzester Zeit völlig verändert hatte. Karen war ein wichtiger Teil seines Lebens gewesen, und jetzt war sie
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