Das Gluecksarmband
war schon fast eine rituelle Handlung, die kleine Schachtel zu öffnen.
Darin lag ein silberner Anhänger in Form eines Tannenbaums mit einem winzigen Diamanten als Spitze. Als sie das Bäumchen umdrehte, fand sie auf der Rückseite eine Gravur:
Mollys 1 . Weihnachten
.
Sie spürte, wie ihr eine Träne über die Wange rann, warm und einladend.
Wieder ein Geschenk voller Liebe und Hoffnung.
Molly wischte sich das Gesicht ab, öffnete ihr Glücksarmband und befestigte das Bäumchen am schönsten freien Platz – zwischen dem Stundenglas, ihrem ersten Anhänger, und einer kleinen silbernen Taube.
Das passte gut, befand Molly mit einem Lächeln, als sie an den Tag zurückdachte, an dem sie die kleine Taube erhalten hatte.
New York, 11 . September 2001
Molly öffnete die Augen und gähnte herzhaft. Sie streckte Arme und Beine, dann drehte sie sich zum Fenster, wo das helle Sonnenlicht schon durch die Lamellen der Jalousie lugte.
Sie schaute auf die Uhr und lächelte: halb acht. Gerade genug Zeit, um sich für die Arbeit fertig zu machen und auf dem Weg dorthin schnell noch einen grünen Tee bei Starbucks zu besorgen.
In diesem Moment spürte sie, dass noch jemand anders wach war. Er meldete sich in ihrem stetig wachsenden Bauch, und zwar mit einem entschiedenen Tritt. Ja, ihr Baby war gesund, aber mit jedem Tag fürchtete Molly mehr, dass sie bald eher wie eine Elefantenkuh als wie eine Frau aussehen würde. Sie fragte sich, wie dick sie wohl bis zum Entbindungstermin noch werden würde.
«Schon gut, kleiner Mann, ich weiß, dass du wach bist. Warte mal kurz, bis deine Mutter sich einigermaßen zurechtgefunden hat.»
Sie stellte die Füße auf den Boden und stand auf, den dicken Bauch vor sich hertragend. Die Schwangerschaft war wirklich ein Erlebnis, das musste sie zugeben. Nicht, dass etwas Schlimmes passiert wäre, nein, es war mehr, dass sie voller Ehrfurcht miterlebte, was sich in ihrem Körper abspielte, und sie konnte kaum glauben, dass sie bald einen Sohn haben würde, einen eigenen Sohn.
Einige Freundinnen waren erstaunt gewesen, dass Molly schon vor der Geburt das Geschlecht des Kindes hatte wissen wollen. Sie meinten, das würde der Geburt den Überraschungsfaktor nehmen. Molly erklärte jedoch, auch wenn sie das Geschlecht schon wisse, sei die Geburt immer noch eine Überraschung. Wie oft lerne man schließlich einen Menschen von Angesicht zu Angesicht kennen, an dessen Erschaffung man mitgewirkt hatte? Schon allein dieser Gedanke war so wunderbar und zauberhaft, dass er Molly die Zeit bis zum Tag der Geburt leicht machte.
Und sie freute sich, dass sie einen Jungen kriegte. Sie ging ins Bad, um sich frischzumachen. Inzwischen hatte sie schon seit ein paar Monaten nicht mehr mit Nick gesprochen. Und sie hatte nicht die Absicht, ihn in Zukunft zu kontaktieren. Warum denn auch? Er hatte klar gesagt, dass er mit diesem Kind nichts zu tun haben wollte. Und ihr war das recht. Ihr Junge würde ihr ganz allein gehören, und sie würde alles tun, um einen starken, rücksichtsvollen, mutigen Mann aus ihm zu machen – er sollte kein materialistisch denkender Egoist mit Bindungsangst werden.
Molly lächelte bei diesem Gedanken. Schwerfällig verließ sie das Bad und watschelte zum Kleiderschrank, um etwas zum Anziehen herauszusuchen. Es war immer noch unglaublich heiß in der Stadt, und obwohl sie es genoss, dass der Sommer sich bis in den September hineinzog, würde sie auch froh sein, wenn sie auf ihren Wegen durch Manhattan bald ein bisschen freier atmen konnte und der Beton in den Straßenschluchten sich nicht mehr ganz so stark aufheizte. Sie fand es schrecklich, morgens um neun schon schweißgebadet bei der Arbeit anzukommen.
«Also wieder das Sommerkleid.» Sie streifte sich das leichte Kleidungsstück über, das ihr in den letzten Wochen gute Dienste erwiesen hatte. Als ihr Bauch dicker und dicker wurde, hatte sie sich zwar Umstandskleidung geleistet, aber sie hatte es sich versagt, ihre geliebten Vintage-Kleider zu kaufen. Schließlich hatte es keinen Sinn, so viel Geld für Klamotten auszugeben, die sie nicht lange tragen würde. Sie musste an die Zukunft denken, nicht nur an ihre eigene, sondern auch an die ihres Babys, und folglich etwas besser haushalten.
Molly schlüpfte in ein Paar Sandalen und wackelte mit den Zehen. Ja, viel bequemer als hohe Absätze.
Sie legte Ohrringe an, und ihr Glücksarmband klimperte, als sie es schloss und nach ihrer Handtasche griff. Nun war sie fertig und
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