Das Gluecksarmband
fort – einfach so. Und anscheinend nur wegen des Geldes. Weil sie befürchtete, dass er ihr nicht mehr das Leben bieten konnte, das sie gewohnt war.
Greg versuchte, sich in Karens Situation hineinzuversetzen. Was wäre wohl in ihm vorgegangen, wenn sie plötzlich den Beruf gewechselt hätte? Wenn sie plötzlich verkündet hätte, sie wolle als Freiwillige zum Peace Corps oder etwas Ähnliches? Unwahrscheinlich, dachte Greg mit einem Lächeln. Trotzdem, er war sich ganz sicher, dass er sie unterstützt hätte, dass er ihr bei all ihren Vorhaben zur Seite gestanden hätte.
Musste er in dieser Hinsicht vorsichtig sein?, überlegte er. Sich vor Frauen hüten, die sich nur seines Geldes wegen für ihn interessierten? Nein, jetzt war bei ihm ja nicht mehr viel zu holen.
Noch ein neuer Anfang, dachte er bedauernd, als er die Haustür hinter sich geschlossen hatte und sein Fahrrad auf die Straße schob. Manchmal musste man aufpassen, was man sich wünschte.
Kurze Zeit später kam er in der Park Avenue an. Er begrüßte den Pförtner, Conor, der aus dem Haus gar nicht mehr wegzudenken war. Dann fuhr er mit dem Fahrstuhl nach oben und betrat das Penthouse. Er fand seinen Vater mit Maria in der Küche.
«Guten Morgen, ihr beiden.»
«Ach, hallo Greg. Es tut mir so leid, ich habe gehört …» Maria kam auf ihn zu und nahm ihn in die Arme. Trotz seines Unbehagens ließ er es geschehen. Er kannte Maria zwar gut, aber es war ihm etwas peinlich, dass andere Leute wussten, dass er verlassen worden war. Vor allem nach diesem aufwendigen Heiratsantrag.
«Danke, Maria. Ich werde das schon verkraften.»
Mit einem spitzbübischen Lächeln sah sie ihn an. «Wenn dir das hilft, ich kenne jemanden, der sie sich mal vorknöpfen könnte. Wir Puerto-Ricaner fackeln bei so was nicht lange, und ich habe da einen Vetter, der –»
Zum ersten Mal seit Weihnachten lachte Greg. «Danke für das Angebot, aber ich glaube, das ist nicht nötig.»
«Aber dann sag später nicht, ich hätte dir nicht helfen wollen.»
Greg wandte sich seinem Vater zu. «Ich dachte, ich komme lieber her – Karen will nachher ein paar Sachen abholen …» Er griff in seine Tasche. «Und ich habe Nonnas Ring wieder mitgebracht», sagte er traurig. «Ich lege ihn in Moms Schmuckkasten zurück.»
«Jedenfalls für eine Weile – bis du ihn wieder brauchst», sagte sein Vater freundlich. Doch Greg nahm an, dass es lange dauern würde, bis er überhaupt wieder daran denken konnte, den Ring zu verwenden – wenn überhaupt jemals.
«Ist eigentlich das Glücksarmband inzwischen aufgetaucht?», fragte er.
«Nein, wir haben die ganze Wohnung danach abgesucht, stimmt’s, Maria?», erwiderte Jeff.
«Ich kann mich ja auch noch mal danach umsehen.»
Das Kleiderzimmer seiner Mutter war etwas, wovon die meisten Frauen träumten. Und seine Mutter hatte Glück gehabt, für sie war dieser Traum Wirklichkeit geworden.
Greg berührte die feinen Stoffe. Mit den schönen Kleidungsstücken waren so viele Erinnerungen verbunden.
Das hübsche Blumenkleid hatte sie getragen, als er sein Abschlusszeugnis vom College bekam, und das dunkelrote Seidenkostüm hatte sie an dem Abend in Gennaros Galerie angehabt, als sein Foto vom Flatiron Building ausgestellt worden war. In dieser blasslila Jacke hatte sie draußen auf der Dachterrasse gesessen und ein Buch gelesen. Greg griff in die Jackentasche und holte ein altes Papiertaschentuch heraus, scheinbar nichts weiter als ein Stück Abfall, aber er wusste, dass seine Mutter es wahrscheinlich benutzt hatte, um sich nach einer besonders herzergreifenden Romanpassage die Augen zu trocknen. Er hielt das verkrumpelte Taschentuch in der Hand und spürte, wie es ihm die Kehle zuschnürte.
Sorgfältig hängte er die Jacke zurück und warf das Taschentuch in den Papierkorb.
Er setzte sich auf den kleinen Samthocker. «Ich weiß, dass du es nicht verloren hast, Mom. Ich weiß, dass du es niemals verlieren würdest. Dieses Armband war doch dein ganzes Leben – was sag ich, dein ganzes Leben hing daran. Was hast du bloß damit gemacht?»
Wann hatte er sie zum letzten Mal mit dem Armband gesehen? Karen hatte gesagt, es sei bei der Benefizveranstaltung für das Krankenhaus gewesen, am Silvesterabend im vergangenen Jahr, und das stimmte, aber …
Wieder schaute Greg sich in ihrem Kleiderschrank um, und plötzlich fiel ihm etwas ein.
Das dunkelrote Kostüm … Greg stand auf und hielt die feine Seidenjacke hoch. Ja, es war Juni gewesen
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