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Das Glücksbüro

Das Glücksbüro

Titel: Das Glücksbüro Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Izquierdo
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Ring um seine Brust legte und ihn am Atmen hinderte, doch er wagte nicht, die hoffnungsvollen Minen der Chicones zu enttäuschen: Vorsichtig, als bestiege er die Kapsel der Sojus, kletterte er in den Fiat und fand, dass es in einer russischen Rakete unmöglich weniger Platz und Komfort hätte geben können.
    Herr Chicone stieß den Fahrersitz zurück und sprang hinters Lenkrad – Albert blieb nichts anderes übrig, als die Knie unters Kinn zu ziehen. Marco stieg auf den Beifahrersitz, was Albert argwöhnisch aufmerken ließ: Wieso durfte der Kleine nach vorne? Knatternd schob sich der Fiat aus der Parklücke und ruckelte bis zur Hauptstraße, bog ächzend ein und schien seine Triumphfahrt mit zwei Fehlzündungen zu feiern.
    Albert klammerte sich an seinen Knien fest und betete.
    Wohin sie fuhren, nahm er nicht wahr, dazu hätte er seine Augen öffnen müssen, aber nach einer halben Stunde schienen sie befestigte Straßen zu verlassen, sodass der Fiat jetzt wild hin und her schaukelte und Albert wie eine Boje bei schwerem Wellengang auf dem Rücksitz hüpfen ließ. Dann endlich hielten sie an, wobei der Motor sich scheinbar selbst abwürgte.
    Albert öffnete die Augen und sah vorsichtig aus dem Fenster: Sie waren auf einem Sportgelände außerhalb der Stadt. Es hatte zu regnen begonnen, sodass alles noch viel trister aussah, als es ohnehin schon war.
    Herr Chicone half ihm aus dem Auto und führte ihn mit Marco zu einem Fußballplatz, auf dem sich hier und da schon breite Pfützen auf roter Asche gebildet hatten. Die Tore sahen ohne Netze skelettiert aus, und trotz des Regens war das Spielfeld ungeheuer festgetreten, weshalb das Wasser nicht abfließen konnte. Ansonsten gab es nichts zu sehen. Keine Bäume, keine Sträucher, nichts. Nur ein Gewerbegebiet im Hintergrund, das sich grau und hässlich nassregnen ließ.
    Erst jetzt nahm Albert in seinem Rücken Stimmen und Gelächter wahr und drehte sich um: Eine Jugendmannschaft von vielleicht achtjährigen Jungs zog sich auf einem Stückchen Wiese für ihr Training um. Die Sachen packten sie in Tüten und legten sie zu einem Haufen zusammen. Dann liefen sie auf den Platz, bereits klatschnass, und begannen, die paar Bälle zu kicken, die sie mitgebracht hatten. Ihr Betreuer ließ sie sich erst einmal austoben, bevor er mit einer Trillerpfeife zum eigentlichen Training bat.
    Marco hatte wieder Alberts Hand gegriffen, so als ob er vielleicht ein Onkel wäre oder ein Freund der Familie. Albert wunderte sich über das Vertrauen und empfand es als schön. Der Junge repräsentierte das Gegenteil dessen, was er an Gemeinheiten täglich in der Zeitung lesen konnte. Schade, dass das Gute so wenig Erwähnung fand im täglichen Überlebenskampf.
    Herr Chicone zupfte Albert am Arm: »Gugge! Aaarrrrme Bambini!«
    »Warum ziehen sich die Kleinen hier um?«, fragte Albert.
    Marco sah zu ihm hoch: »Wir brauchen ein Kabine. Deswegen haben wir den Antrag gestellt.«
    »Verstehe.«
    »Anna sagt, Sie wüssten, wie man Anträge stellt. Ich meine: richtig stellt.«
    Albert räusperte sich ein wenig: »Na ja, schon …«
    »Dann stellen Sie für uns den Antrag?«
    Da stand er nun, er, der noch nie darüber nachgedacht hatte, dass Anträge von Menschen gestellt wurden. Ein Leben lang hatte er nur die ästhetische Perfektion der Vordrucke bewundert, ohne zu ahnen, dass hinter der Ästhetik ein Leben auf eine Antwort wartete. Und was er mit dem Anklopfen der Chicones im Herzen bereits gewusst hatte, vollzog sich nun auf wundersame Art: Er überschritt eine Grenze und vergrößerte damit nicht nur sein eigenes Spielfeld, er sprengte es förmlich und es war, als flögen alle seine heißgeliebten Linien in tausend Stücken davon.
    Er sagte: »Kommen Sie in den nächsten Tagen mal vorbei. Ich glaube, da kann man was machen.«
    Herr Chicone brach in Jubel aus und umarmte Albert stürmisch, küsste ihn, was Albert stocksteif über sich ergehen ließ. Marco blickte ihn mit großen Augen an, drückte Alberts Hand sanft und lächelte selig.
    Herr Chicone hielt Alberts Wangen in seinen Händen und rief übermütig: »Fahre Signore nach Hause!«
    Alberts Blick sprang zu dem kleinen Fiat.
    »Ich nehme den Bus.«

27.
    Es wurde ein langer, sehr, sehr nasser Heimweg, aber Albert genoss den prasselnden Dauerregen. Über dreißig Jahre war er trockenen Fußes durch das Amt gegangen, hatte jede Form von Schauer durch die Scheiben beobachten können, froh darüber, ein warmes und trockenes Zuhause zu haben.

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