Das Glücksbüro
während der Dienstzeit regelmäßig zu kreisen. Bei besonders sensiblen Trabanten blieb das auch nach Dienstschluss so. Für immer.
Jedenfalls rotierten um XII.13 alle Büros des Amtes. Und je näher sie Dr. Isidor Sommerfeldt kamen, desto häufiger trat das Phänomen der sprechenden Türen auf. In diesem Flur des 12. Geschosses waren sie ein Naturgesetz und konnten, wie der große Hungerlauf, jeden Mittag beobachtet werden, wenn man denn ein Auge für die Besonderheiten dieses Universums hatte.
Albert und Anna standen im Eingang des langen Flurs, fast noch auf dem Treppenabsatz und beugten sich weit vor, um in die Tiefe sehen zu können, die ruhig und, na ja, sehr tief dalag. Der Steinboden glänzte ganz besonders, kein Stäubchen und kein Fussel wagten durch die Luft zu fliegen, weshalb Anna das Gefühl hatte, dass es hier gar kein Leben gab. Und schon gar keine sprechenden Türen.
Sie zupfte Albert am Ärmel und drängelte: »Was ist denn jetzt?«
Albert sah auf seine Uhr: nur noch wenige Sekunden bis Mittag.
»Gleich, einen Moment noch …«
»Und dann?«
»Psst!«
Albert hatte eine abwehrende Handbewegung gemacht und starrte konzentriert in den Flur. Anna seufzte leise und tat es ihm nach, ohne jede Hoffnung, an diesem Ort etwas Magisches erleben zu können.
Punkt zwölf Uhr flog die Tür von Dr. Isidor Sommerfeldt auf, und er marschierte aus seinem Büro. Und das war durchaus wörtlich zu nehmen, denn die Absätze seiner blank polierten Lederschuhe knallten so hart auf dem Steinboden, dass sich ihr Schall an den kahlen Wänden mehrfach brach und man das Gefühl hatte, ein ganzer Trupp wäre auf dem Weg nach unten.
Albert flüsterte: »Jetzt … passen Sie auf!«
Und tatsächlich: Die Türen begannen zu sprechen!
Anna war so überrascht, dass ihr der Mund aufstand und sie ganz fasziniert in den Flur starrte, in dem Dr. Sommerfeldt ihnen zügig entgegenkam. Jede Tür, die er passierte, flog auf und aus dem Inneren war deutlich zu hören: » MAHLZEIT , HERR DIREKTOR !«
Dann schloss sich die Tür wieder.
Schon flog die nächste auf.
Außer Dr. Sommerfeldt war niemand zu sehen, und der quittierte die Rufe mit einer zackigen Handbewegung, die einem militärischen Gruß ähnelte, aber er blickte nicht in die Räume und verlangsamte auch nicht den Schritt. Man hörte nur seine Absätze, sah die Türen wie Münder auf- und zuklappen und MAHLZEIT , HERR DIREKTOR ! rufen.
Sprechende Türen.
Nicht mehr, aber auch nicht weniger.
Anna war ganz entzückt.
Albert warf einen verstohlenen Blick zu ihr herüber, glücklich, dass er eine Künstlerin so verblüffen konnte.
Dr. Sommerfeldt passierte Anna und Albert, die beide unwillkürlich Haltung annahmen und ebenfalls grüßten. Dr. Sommerfeldt fragte nicht, ob sie auf dem Weg zu ihm waren – er hatte jetzt Mittagspause. Aber er grüßte die beiden ebenfalls mit einer Handbewegung, dann detonierten seine Schritte auf der Treppe und schon nach ein paar Sekunden war er aus ihrem Blickfeld verschwunden und nur noch zu hören.
Anna strahlte Albert an: »So was Verrücktes hab ich ja noch nie gesehen! Das … das ist Magie, Herr Glück. Echte Magie!«
Albert nickte stolz: Das war sein Amt!
30.
Anna hatte von so viel Magie Appetit bekommen, was Albert daran erinnerte, dass die unbefriedigende Kantinensituation nicht gelöst war. Noch nicht. Denn Albert hatte da eine Idee, von der er aber nicht wusste, ob sie funktionieren konnte, und so hielt er Ausschau, während er hinter Anna in der langen Essensschlange stand, und verweigerte die Konversation. Stattdessen versuchte er immer wieder, in das Herz der Küche zu spähen – immer dann, wenn eine der Türen aufflog, weil Nachschub in großen Metallschüsseln an die lange Theke gebracht wurde.
Bald schon hatte er die Position des Chefkochs in der Küche ausgemacht und nahm ihn auch dann noch ins Visier, wenn die Türen geschlossen waren und er gar nichts sehen konnte. Öffnete sich die Tür, beobachtete er den Chefkoch genau, wobei er fand, dass der auf einem guten Weg war: Er sah nicht gerade fröhlich aus, aber auch nicht mehr so deprimiert. Genau genommen hatte Albert das Gefühl, dass er etwas suchte. Sein Blick war unruhig, sprang von einem zum anderen, hielt kurz inne, prüfte, huschte weiter. Zwischendurch begutachtete er das Essen, und obwohl er abgelenkt schien, korrigierte er Fehler unnachgiebig. Das hatte sich also schon mal geändert, denn vor Kurzem noch schien es ihm völlig
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