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Das Glücksbüro

Das Glücksbüro

Titel: Das Glücksbüro Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Izquierdo
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von Wallert?«
    Albert hatte überhaupt keine Zeit zu reagieren, nahm fast schon mechanisch die Krawatte entgegen, während in ihm eine ängstliche Vorfreude aufstieg und die Gedanken in seinem Kopf wie Kaulquappen in einem Aquarium begannen, wild herumzuzappeln. Sie stand auf, drehte sich an der Bürotür noch einmal um und winkte ihm grazil zu.
    Er saß da und hielt die Krawatte.

37.
    Die Arbeit war ihm überhaupt nicht mehr schwergefallen, im Gegenteil: Er entwickelte einen seltsam hysterischen Ehrgeiz, immer noch schneller und effizienter zu arbeiten, wie studentische Hilfskräfte, die in der Fabrik den Akkordtakt einer Maschine immer höher drehten, um festzustellen, was jemand leisten konnte, bevor ihm Inhalt und Verpackung um die Ohren flogen. Albert arbeitete am Anschlag und fand es toll.
    Kurz vor Mittag hatte er alles geschafft.
    Das ganze Tagwerk.
    Da hörte er draußen das erste Mahlzeit! Er sprang förmlich aus seinem Stuhl, stürmte aus seinem Büro und nahm das erste Mal in seinem Leben am großen Hungerlauf teil. Geschickt wedelte er durch die eilenden Kollegen hindurch, nahm es mit den Läufern auf, die den Lauf schon seit Jahren beherrschten, duellierte sich im Flurausgang sogar mit Seriensieger Walter Wellinghoff, VII.773 , und fügte ihm die erste Niederlage seit Jahren zu.
    Auf der Treppe nach unten kicherte er vor sich hin: so etwas Verrücktes! Wer hätte gedacht, dass das einen solchen Spaß machen könnte? So stand er völlig ungewohnt sehr weit vorne in der Essensreihe und starrte auf eine der Verbindungstüren zur Küche. Und als sie sich öffnete, entdeckte er den Küchenchef, der in einem Bottich rührte, aber nicht hineinsah. Albert folgte seinem Blick und entdeckte Fräulein Traurig, die Bratkartoffeln wendete und ebenfalls nicht in den Bottich sah.
    Sie sahen einander an.
    Lächelten scheu.
    Und sahen gar nicht mehr so traurig aus.
    Die Tür schwang wieder zu – Albert wurde von der Küchenhilfe angepfiffen, sein Tablett so zu halten, dass man auch etwas auf den Teller klatschen konnte. Er setzte sich ganz gegen seine Gewohnheiten in die äußerste Ecke der Kantine, sodass er durch ein Fenster nach draußen sehen konnte. Der Frühling hatte es noch schwer, alles wirkte noch grau und schmutzig, aber hier und da blitzten erste Knospen wie Broschen auf einem Wintermantel auf.
    Das Essen war miserabel.
    Albert seufzte, aber seiner guten Laune tat es keinen Abbruch. Das war die Erstverschlechterung, danach würde es besser werden. Es war immer schmerzhaft, seine Haltung zu ändern. Aber war es nicht erstaunlich? Die Physik kannte den Impulserhaltungssatz – die Philosophie nicht. Dabei ging Energie nie verloren.
    Er aß mit großem Appetit, konnte sich nicht erinnern, wann er das letzte Mal einen solchen Hunger gehabt hatte, und langweilte sich den Rest des Nachmittags fast zu Tode.
    Es gab nichts zu tun, einfach gar nichts.
    Zweimal stand er sogar auf, öffnete die Bürotür und spähte in den Flur, aber da war niemand, der seine Hilfe brauchte. Er wischte Staub und ordnete seine Ordner. Zum Schluss hakte er Büroklammern ineinander und bastelte Schmuck.
    Gott, war das langweilig!
    Endlich wurde es vier Uhr.
    Albert schloss sein Büro ab und ging mit den anderen nach unten. Er rief Feierabend!, grüßte mal nach links, mal nach rechts. Stand in der Schlange, sah, dass die Handwerker, die das Foyer neu streichen sollten, sich dem allgemeinen Arbeitstempo des Amtes mühelos angepasst hatten: Gestrichen war nichts, dafür standen in einem Prozess der schier endlosen Vorbereitung überall Materialien, Farben, Planen und Gerüste herum. Er rückte zum Propeller auf, ließ sich bereitwillig zerhacken und nach draußen schleudern. Und da war niemand, dem auffiel, dass er das seit fast fünfunddreißig Jahren nicht mehr getan hatte. Er war einer von ihnen. Einer wie alle.
    So war das also.
    Albert folgte einer Wegbeschreibung, die er sich nachmittags gemacht hatte, bog in Straßen, die im nachlassenden Tageslicht umso trister aussahen. Als die Laternen aufflammten, erreichte er sein Ziel: ein großes, anonymes Mietshaus. Auf den Klingelschildern suchte Albert nach dem Namen und fand ihn: Mike Schulze. Der Summer ließ die Tür aufspringen.
    Albert mied den Aufzug, den er beängstigend verwahrlost fand, stieg die Treppen hoch in den vierten Stock und klopfte an der Tür mit Schulzes Namensschild. Für einen Moment ärgerte er sich, weil Mike ihn nicht an der Wohnungstür erwartet hatte. Aber so

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