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Das Glücksbüro

Das Glücksbüro

Titel: Das Glücksbüro Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Izquierdo
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war er eben, dieser Schulze.
    Mike öffnete.
    »Guten Abend, Herr Schulze.«
    »Herr Glück … Das ist ein wenig überraschend.«
    Mike wirkte so müde, dass seine Stimme tonlos klang.
    »Ja, verzeihen Sie den Überfall, aber ich habe heute erst erfahren, was … was passiert ist.«
    »Aha.«
    Offenbar hatte er sich in sein Schicksal ergeben, nichts an ihm machte den Eindruck, als habe er noch Interesse daran, seinen Job zu retten. Die Vorwürfe wogen schwer, davon würde er sich möglicherweise nicht einmal erholen, wenn sie sich als haltlos erweisen würden. Vielleicht machte ihm dieser Umstand zu schaffen, denn so deprimiert, so leblos hatte er Mike noch nie erlebt.
    Albert räusperte sich und sagte: »Es gibt da etwas, was ich mit Ihnen besprechen möchte …«
    Aus Mikes Wohnung war plötzlich eine helle Frauenstimme zu hören: »Mike? Mike?«
    »Es ist etwas ungünstig …«, sagte Mike leise.
    Albert nickte: Damenbesuch. Natürlich.
    Er wusste ja, wie Mike war. Jeder wusste, wie Mike war. Albert fühlte sich reichlich deplatziert. Er machte sich Gedanken um Mikes Zukunft, rang mit seinem schlechten Gewissen, und Mike vergnügte sich während der Arbeitszeit mit Freundinnen. Plötzlich krachte es in einem der Räume, irgendetwas war klirrend zu Boden gegangen, gefolgt von einem spitzen Schmerzensschrei.
    Mike wirbelte herum und lief zurück ins Wohnzimmer.
    Albert blieb erschrocken und unschlüssig vor der offenen Wohnungstür stehen. Er hörte Mikes Stimme aus dem Innern der Wohnung: »Gott, was hast du nur getan?«
    Das klang verzweifelt.
    Sehr verzweifelt.
    Albert beugte sich ein wenig vor und rief: »Herr Schulze? Soll ich Hilfe rufen?«
    Dann hörte er wieder Mike. Er hatte offenbar begonnen zu weinen: »Bitte hör auf … hör doch auf …«
    Albert wagte einen Schritt vor, rief: »Herr Schulze?«
    Niemand antwortete.
    Albert machte einen zweiten, einen dritten Schritt. Lauschte.
    Dann gab er sich einen Ruck und lief vorsichtig durch den Flur und schob die angelehnte Wohnzimmertür auf: Mike kniete neben einer alten Frau, die nur mit einem Nachthemd bekleidet war. Er hielt sie im Arm, während sie aus einer Wunde an ihrer Hand blutete. Offenbar war sie zuvor über einen Barwagen gestolpert und hatte sich an einer zerbrochenen Flasche verletzt. Jetzt ließ sie sich bereitwillig von Mike im Arm wiegen, ohne dass zu erkennen war, ob ihr die Wunde etwas ausmachte oder nicht.
    Mike schluchzte: »Oh, Mama …«
    Albert sah in das Gesicht der Alten und erkannte nichts als verblödete Züge, entstellt von einer weit fortgeschrittenen Demenz. Sie verstand die sie umgebende Welt nicht mehr, und Albert nahm an, dass sie weder wusste, dass Mike ihr Sohn war, noch, was es eigentlich bedeutete, einen Sohn zu haben. Sie hatte keine Vergangenheit mehr und keine Zukunft. Nur noch einen Sohn, der sie an sinnentleerten Tagen im Arm hielt.
    Mike drehte sich zu Albert herum.
    »Bitte gehen Sie, Herr Glück. Bitte.«
    Albert schluckte hart, wandte sich verlegen um und zog leise die Wohnungstür ins Schloss.

38.
    Für Albert gab es einiges zu verarbeiten, denn ein Bild, das man zu kennen glaubte, das sich aber vor den eigenen Augen in ein anderes verwandelte, war ebenso überraschend wie verwirrend. Bei Albert erwuchs daraus der Wille, sich den neuen Gegebenheiten anzupassen, und das hieß, er wollte aufholen, was er aus Desinteresse in der Vergangenheit versäumt hatte.
    Jeder wusste, wie Mike war.
    Niemand wusste, wie Mike war.
    Er wusste es.
    Und es wurde ihm schnell klar, wie er diesen Umstand würdigen konnte, denn das Amt für Verwaltungsangelegenheiten war ein magischer Ort, ein Ort, an dem seltsame Dinge passierten und sich große Geheimnisse verbargen. Undurchdringlich, unüberwindlich und labyrinthisch, aber offen für den, der wusste, wie man seine Türen öffnen konnte. Nicht rohe Gewalt führte zum Ziel, sondern magische Sätze. Gesammelt in Ordnern. Sie waren die Zauberbücher eines jeden Amtes. Frei für jedermann und so langweilig, dass niemand auf die Idee kam, sie zu lesen. Das war ihr ebenso genialer wie wirkungsvoll einfacher Schutz. In diesen Sätzen versteckten sich die Formeln für ein kleines Glück. Wer sie kannte, der hatte die Macht, die Welt zu verändern: Der Herr der Sätze war auch der Herr des Glücks.
    Albert betrat schon am nächsten Morgen Punkt 7.30   Uhr das Büro Elisabeth Seel   /   Mike Schulze , in der Hoffnung, Mike anzutreffen, wobei er sich nicht erinnern konnte, wann das

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