Das Glücksbüro
hing.
Kunst.
Er stand auf und riss sie ab.
35.
Punkt 7.30 Uhr erschien Albert noch etwas wackelig auf den Beinen, aber halbwegs wiederhergestellt im Büro Elisabeth Seel / Mike Schulze, VII.8 . Zu seiner insgeheimen Freude war Mikes Platz leer, er war einfach nicht in der Verfassung, sich dessen allmorgendlichen Quatsch anzuhören. Keine Kommentare, keine Monologe, kein Mike. Nicht heute.
»Guten Morgen, Elisabeth.«
»Morgen …«
Sie klang bedrückt, stand mit dem Rücken zu ihm, weil sie – wie jeden Morgen – gerade frischen Kaffee brühte. Albert fragte sich, ob er ihr die Unterlagen einfach auf den Tisch legen sollte, hielt das dann aber für zu unhöflich.
»Herr Schulze ist nicht da?«, fragte er, um ein wenig Konversation zu betreiben.
Sie schüttelte den Kopf.
»Was ist denn mit ihm?«
Sie drehte sich zu ihm um und antwortete: »Er hat sich krank gemeldet … aber ich glaube, es ist, weil ihm gekündigt wurde.«
Albert war so überrascht, dass er ein paar Augenblicke brauchte, bis er den Sinn der Aussage verstand. Entlassen? Aus seinem Amt? Wie war das möglich? Mike Schulze war zwar faul und inkompetent, aber seit wann war das hier ein Kündigungsgrund?
»Wie, gekündigt?«, fragte Albert perplex.
Elisabeth zuckte mit den Schultern: »Es hat sich einfach zu viel angehäuft. Er hat eine Abmahnung bekommen, weil er so oft zu spät war. Dann noch eine, weil Mikes Schreibtisch verschlossen war und Wehmeyer ohne Unterlagen vor eine Kommission musste …«
Albert zuckte zusammen: Ganz gleich, ob sein kleiner Streich gegen Mike berechtigt gewesen war oder nicht, dafür war er verantwortlich.
»Und jetzt hat ihn jemand angezeigt«, fuhr Elisabeth fort und schlug dabei die Augen nieder, »da hat Wehmeyer ihm gekündigt. Zum Jahresende.«
»Eine Anzeige?«, fragte Albert neugierig.
Elisabeth nickte: »Sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz … Sie wissen ja, wie er ist.«
Jeder wusste, wie Mike war, aber Albert hätte nie gedacht, dass Mike kein Gespür für Grenzen hatte. Im Gegenteil: Sein Erfolg beim anderen Geschlecht war über die Referatsgrenzen hinaus bekannt und wurde von den meisten männlichen Beamten sogar bewundert. Da hatte er es doch gar nicht nötig, eine Kollegin so zu bedrängen, dass diese sich mit einer Anzeige wehrte. Oder hatte er die Kontrolle über sich verloren? In einer Art Allmachtsfantasie nicht akzeptieren können, dass es offenbar jemanden gab, bei dem sein Charme nicht zündete?
»Wo ist Herr Schulze jetzt?«, fragte Albert.
»Zuhause, nehme ich an.«
Albert nickte nachdenklich, legte die Unterlagen auf Elisabeths Schreibtisch und verließ das Büro.
36.
Es klopfte.
Susanne, die Bürohilfe, trat ein, eine gut gefüllte Kladde mit allerlei Anträgen in den Händen.
»Morgen, Herr Glück.«
»Guten Morgen, Susanne.«
Sie legte ihm die Kladde auf den Tisch.
»Soll ich den Ersten schon reinschicken?«
Albert seufzte: Draußen standen wieder Menschen, nicht ganz so viele wie gestern, aber das konnte sich im Laufe des Vormittags ja noch ändern. Es war, als hätte Frau Sugus etwas angestochen, das jetzt unentwegt in sein Büro hineinsickerte. Er nickte ihr kurz zu, und zum ersten Mal bemerkte Albert, dass er sie schon seit Jahren kannte, aber nichts über sie wusste, außer dass sie jeden Morgen die eingegangenen Anträge brachte. Auch sonst wusste niemand etwas über sie zu berichten, im Flurklatsch fand sie nicht statt. Sie war ein bisschen wie ihre Arbeit: Sie tauchte auf, verschwand, und niemand, dem es auffiel.
»Susanne?«
Sie drehte sich zu ihm herum.
»Ich heiße Albert.«
Sie antwortete nicht, aber da war plötzlich ein Lächeln, das wie ein aufschwingender Vorhang preisgab, was sie über Jahre hinweg vor anderen verborgen hatte: sich selbst. Nie hatte jemand je nach ihr gefragt. Sie war die Bürohilfe . Nichts weiter. Für die meisten im Amt hatte sie nicht einmal einen Namen. Ausgerechnet Albert, von dem sie es am wenigsten erwartet hätte, änderte das mit drei simplen Worten.
Ein wenig irritiert, aber dennoch ganz beschwingt wandte sie sich ab und sagte zu dem Ersten in der Schlange auf dem Flur: »Sie können rein, das Büro ist jetzt geöffnet.« Und es klang, als hätte sie den Besucher eingeladen, sein Leben zu ändern.
Die alte Dame war eine der Ersten, deren Anträge Albert formulierte, und sie war nicht die Einzige, deren Wünsche und Nöte über die Zuständigkeit des Amtes für Verwaltungsangelegenheiten hinausgingen. Es
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