Das Glücksbüro
Feuerwehr, Zivilschutz, Liegenschaften, Finanz- und Haushaltswesen, Krankenhäuser, Führerschein, Gaststättenerlaubnisse und Bibliotheken. Und ebenso beliebt die mittelbaren Verwaltungen, die treuhänderisch Staatsaufgaben übernahmen: Rentenversicherung, Sozialversicherung, Pflegeversicherung, gesetzliche Unfallversicherung, Bundesknappschaft und die Arbeitsverwaltung, um nur die wichtigsten zu nennen.
Albert kannte sie alle.
Er kannte die Dezernate, die Dienststellenleiter, die Sachbearbeiter, die Ansprechpartner, ja, man konnte sagen: Er kannte das ganze System. Und das in einer Art und Weise, wie man es bei einem Menschen nicht für möglich gehalten hätte, denn Albert war in diesen Dingen wie ein Computer. Informationen gingen bei ihm nicht verloren. Niemals. Und so wusste er auch, welcher Antrag welche Türen öffnen konnte.
Kurz vor Mittag klopfte es an einem Julitag an Alberts Büro, der gerade die letzten Unterschriften auf Anträge setzte, sodass er ohne aufzusehen: Herein! rief, um die nächste Gruppe in Empfang zu nehmen. Susanne öffnete die Tür, aber diesmal traten nur Herr Chicone und sein Sohn Marco ein.
Sofort wurde es laut in Alberts Büro, dessen akribische Ordnung in den letzten Wochen unter Stapeln von Papier, Ordnern, Vordrucken und Anträgen versunken war. Überall ragten Berge in die Höhe, schaukelten Stapel gefährlich mal nach links, mal nach rechts, ohne jedoch auf den Boden zu fallen. Es gab nur noch einen schmalen Durchgang zu Alberts Schreibtisch und ein wenig Platz für Stehende davor. Den Rest bedeckten Schreiben, Texte, Urkunden, Unterlagen, verwaltungstechnische Vorgänge aller Art.
Albert lächelte über Herrn Chicones Euphorie, den üppigen Geschenkkorb, den er auf seinen Schreibtisch stellte, die wilden Umarmungen und die feuchten Küsse auf seine Wangen. Er sprach italienisch und wie üblich verstand Albert kein Wort, doch er ahnte, dass sein Antrag, den er für die Chicones gestellt hatte, Früchte getragen haben musste. Marco übersetzte, so gut es ging, konnte mit dem Redeschwall seines Vaters jedoch nicht mithalten und gab es schließlich auf. Offenbar war das Umkleidehäuschen für die Fußballkinder errichtet und eingeweiht worden. Alle waren glücklich und am glücklichsten von allen: Herr Chicone.
Albert schüttelte die Hände der beiden und sagte: »Ich freue mich, dass alles funktioniert hat, aber den Korb darf ich leider nicht annehmen. Das sähe nach Vorteilsnahme im Amt aus.«
»Verschenken Sie doch etwas an jeden, der reinkommt«, schlug Marco vor.
Albert nickte. »In Ordnung. Gute Idee.«
Susanne hatte die ganze Zeit in der Tür gestanden und breit gegrinst: Sie sprach sehr gut italienisch und wunderte sich darüber, wie viele freundliche Adjektive Herr Chicone innerhalb von Sekunden in die Welt gefeuert hatte, um Albert zu loben.
Die beiden machten kehrt, Herr Chicones Blick blieb noch einmal an Annas Bild hängen, das zwischen den Stapeln Papier mit seinen wilden Farben ins Büro leuchtete, dann gingen die beiden hinaus in den Flur. Albert hatte sie zur Tür begleitet und sah ihnen mit Susanne nach. Herr Chicone war immer noch ganz aufgekratzt und redete auf seinen Sohn ein, der neben ihm hertrottete.
Susanne übersetzte leise für Albert.
Vater: »Hast du das Bild in seinem Büro gesehen?«
Marco: »Ja.«
Vater: »Das hängt nur jemand auf, der verrückt ist.«
Marco: »Gut, dann ist er eben verrückt.«
Herr Chicone hob warnend die Hand, als wollte er Marco eine knallen: »Wie redest du denn über Herrn Glück? Dieser Mann ist ein Heiliger!«
Marco: »Aber hast du nicht gerade selbst gesagt …?«
Vater: »Du bist wie deine Mutter! Drehst einem das Wort im Mund herum!«
Marco: »Was hat Mama …?«
Vater: »Ach halt die Klappe. Hast schon genug angerichtet!«
Marco seufzte, schwieg aber. An seinem Gesichtsausdruck konnte man seine Gedanken ablesen: Der Einzige, der hier ein bisschen plemplem war, war allenfalls sein Vater. Herrn Chicones guter Laune tat das keinen Abbruch: Er klopfte Marco aufmunternd auf die Schulter und rief noch mal ein lautes: HA !
Albert hatte die ganze Zeit über gelächelt.
Dann drehte er sich der Warteschlange zu und fragte: »Wer ist der Nächste?«
46.
Dr. Wehmeyer hatte lange auf den Anruf gewartet, und als er dann endlich kam, überraschte er ihn während einer kleinen Frühstückspause: Er sollte im Büro von Direktor Sommerfeldt erscheinen. Sofort. Chefsekretärin Adele Lüth hatte wie immer
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