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Das Glücksbüro

Das Glücksbüro

Titel: Das Glücksbüro Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Izquierdo
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Farbeimer und ein Gerüst, das aufgestellt worden war. Die Propeller ließen das Mondlicht hinein, sodass sich helle, längliche Flecken auf dem Boden zu den Aufzügen hin streckten.
    Albert entdeckte in einer Ecke ein altes, mit Farbe eingeschmiertes Radio. Mit einem Klick donnerten die Spätnachrichten durch das Foyer, so laut, dass er hektisch am Lautstärkeregler die Stimme leiser drehte. Er suchte einen anderen Sender und nach ein wenig Gekrächze war da plötzlich Musik. Ein Lied aus alten Zeiten, ein Lied, dass seine Eltern geliebt hatten wie kein anderes: Sway .
    Da erklang ein großes Orchester, angeführt von einem Sänger mit einer sehr weichen und doch alles beherrschenden Stimme, und Albert konnte gar nicht anders, als mit dem Fuß im Takt zu wippen. Der Rhythmus ließ die Luft pulsieren, alles schien sich im Takt der Musik zu wiegen, selbst die Schatten, die das Mondlicht warf. Neben Albert stand ein Farbroller mit Teleskopstiel, und noch ehe sich Albert versah, hatte er ihn gepackt und war mit ihm mitten in die Empfangshalle gegangen.
    Eine Hand am Griff, die andere mittig am Stiel, hielt er die Rolle vor sich und begann die ersten vorsichtigen Tanzschritte. Er glitt elegant über den Boden, und die Rolle in seinen Armen wurde federleicht. In kühnen Drehungen und Umläufen wehten sie über die Tanzfläche.
    Da riss die Wirklichkeit entzwei und gab den funkelnden Zauber einer neuen Welt frei: Aus dem schmucklosen Foyer wurde ein großer Ballsaal. Aus dem Gerüst ein Orchester mit eleganten Musikern und einem singenden Bandleader. Aus dem Steinboden goldenes Parkett und aus der Farbrolle wurde: Anna.
    Über ihren Köpfen funkelte eine Kristallkugel und streute tausend Sterne in den Saal. Albert trug Smoking, Anna ein bezauberndes Kleid, und alles an ihren Bewegungen war ungeheuer gekonnt, geschmeidig und elegant. Sie kreisten im Rhythmus der Band über das Parkett und je fordernder die Musik wurde, desto besser tanzten sie. Ja, man konnte sagen, dass sie die besten Tänzer auf der ganzen Welt waren.
    Draußen, vor den Toren des Amtes, schreckte der Wachmann in seinem Häuschen auf und rieb sich die Schläfen: Er hatte zu viel getrunken, hatte seine Rundgänge verpasst und fror, obwohl sein Häuschen geheizt war. Er sah rüber zu den Eingängen und ihm war, als sähe er dort einen Mann mit einer Farbrolle tanzen. Furchtbar ungelenk. Ohne Taktgefühl und Rhythmus. Dann war er schon wieder im Dunkel des Foyers verschwunden, und der Wachmann nickte wieder ein.
    Drinnen hingegen mühte sich das Orchester, den Tänzern gerecht zu werden, sie forderten sich und ihren Instrumenten das Äußerste ab, folgten dem intensiven Gesang und ließen das ganze Amt in seinen Grundfesten erzittern. In langen, federleichten Schritten wirbelten Albert und Anna über das Parkett, berührten nur noch mit den Zehenspitzen den Boden, drehten sich, waren eins mit den Tönen. Sie wurden schneller und immer schneller, tanzten in perfekter Harmonie wie auf dem Kamm einer Welle, wirbelten umeinander, bis sie plötzlich schwebten.
    Ja, sie schwebten!
    Anna warf ihre Arme um Alberts Hals und drehte sich mit ihm in die Höhe.
    Da war nichts mehr, das sie auf dem Boden halten konnte, sie waren einander genug und überwanden die Schwerkraft. Übersäht vom Funkenregen der Glitzerkugel flogen sie dem Orchester davon – hinauf in die Dunkelheit.
    Selbst als der letzte Akkord verklungen war, blieben sie der Welt entrückt. Denn dort, wo sie waren, gab es keine Welt – nur Magie. Sie schwebten durch das Foyer und niemals zuvor hatte Albert so glücklich ausgesehen wie in diesem Moment.

SPRECHZEITEN

45.
    Albert war den ersten Schritt in eine neue Welt gegangen, und es war, als ob mit ihm das Land erblühen würde. Tatsächlich brach nur mit großer Macht der Frühling herein und mit den Knospen und Blüten trieben auch die Gerüchte über einen Mann aus, der in einem Büro saß, in dem man ein kleines Glück finden konnte. Überall wirbelten die Hoffnungen der Menschen, die durch Albert ein kleines bisschen glücklicher geworden waren, durch die Luft, eilten in konzentrischen Wellen vom Amt für Verwaltungsangelegenheiten hinaus ins Land, weiter und immer weiter, um irgendwann wie zufällig hinabzusinken in die Herzen der Hilfesuchenden.
    Die neue Energie berührte sie sofort, aber noch glaubten sie nicht daran, dass es jemanden wie Albert Glück geben könnte. Sie taten es als Selbsttäuschung ab, aber Hoffnung war wie Unkraut: immer da,

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