Das Glücksbüro
warum das Kantinenessen so gut geworden war. Und Albert würde es ihnen auch nicht sagen. So überließ er ihnen großzügig das wilde Rempeln, das sie hinter freundlichen Gesichtern zu verstecken suchten, obwohl sie voneinander wussten, dass es gar nicht freundlich gemeint war.
Kurz vor ein Uhr verließ er das Büro und entschuldigte sich bei den Wartenden für eine halbe Stunde Mittagspause. Er stieg die Treppen hinab und durchquerte den langen Flur, der zur Kantine führte. Schon aus einiger Entfernung konnte er Elisabeth Seel sehen, die dort an einer Fensterfront stand und kichernd mit einem jungen Mann schäkerte. Sie blickte zu ihm mit demselben verliebten Gesichtsausdruck auf, wie sie zuvor zu Mike Schulze aufgesehen hatte. Elisabeth die Große war wieder ganz klein geworden und ließ sich gerade eine Haarsträhne aus dem Gesicht streichen. Albert schätzte, dass die beiden noch nicht sehr lange ein Paar waren, denn sie konnten weder Augen noch Hände voneinander lassen.
Sie bemerkte Albert aus dem Augenwinkel, ihr Blick wurde kalt, sie stellte sich auf die Zehenspitzen und küsste den jungen Mann auf den Mund. Dann drehte sie sich demonstrativ von Albert weg, in dem Moment, als der ihr zum Gruß zunicken wollte.
Albert dachte: Das musste wohl Liebe sein …
Das große Fressen war weitestgehend vorbei – zurück waren nur abgekämpfte Kantinenkräfte geblieben, die bereits begannen, die leeren Schüsseln zu stapeln und den gröbsten Schmutz zu beseitigen. Albert nahm das, was nicht ausverkauft war, und entdeckte an einem der Tische: Mike Schulze. Er hatte ihn jetzt schon seit Wochen nicht bemerkt, und ihn dort ganz alleine über seinen Teller gebeugt sitzen zu sehen, erinnerte ihn daran, dass ihm noch eine unangenehme Aufgabe bevorstand.
»Mahlzeit, Herr Schulze«, grüßte Albert und setzte sich zu ihm an den Tisch.
»Mahlzeit, Herr Glück.«
Mike stocherte in seinem Essen herum: Viel hatte er davon nicht runtergebracht.
»Ich habe mich bei Herrn Wehmeyer für Sie verwendet, aber ich fürchte, ich habe keine guten Nachrichten. Ich glaube nicht, dass er die Kündigung zurückziehen wird.«
Mike nickte abwesend: »Danke, dass Sie’s trotzdem versucht haben.«
Albert probierte vom Essen, während er nach den richtigen Worten suchte. Gab es überhaupt welche? Oder war es nicht besser, einfach zu sagen, was er sagen wollte. Ohne jeden Versuch, es hübscher klingen zu lassen, als es war. Albert entschied sich für die schnörkellose Variante.
»Herr Schulze?«
»Ja?«
»Ich muss Ihnen etwas gestehen …«
Mike sah neugierig von seinem Teller auf. Und er konnte sehen, dass Albert sich nicht wohlfühlte, was ihn nur umso neugieriger machte.
»Was denn?«
»Ich war das mit Ihrem Schreibtisch.«
Mikes Augen weiteten sich: Er hatte ja mit vielem gerechnet, aber das hier war jetzt wirklich eine böse Überraschung.
» WAS? «
»Es tut mir leid«, fügte Albert schnell hinzu, »ich wusste ja nicht, dass das gleich zu einer Abmahnung führen würde.«
»Ach, darum sind Sie auf einmal so scheißfreundlich zu mir!«
Albert schluckte, als er Mikes Gesichtsausdruck sah: Mehr noch als die Wut über den Streich spiegelte sich Enttäuschung in seinen Augen. Das war für Albert schlimmer als jeder Wutausbruch und jeder Vorwurf, den Mike hätte vorbringen können.
»Nein, deswegen nicht …«
»Nein, natürlich nicht!«, rief Mike ironisch und sprang auf. »Wissen Sie was? Lassen Sie mich einfach in Ruhe, ja?« Er wandte sich ab und fügte leiser hinzu: »Lasst mich doch alle in Ruhe.«
Er wartete keine Antwort mehr ab, sondern eilte rasch aus der Kantine.
56.
Für Wehmeyer schien der Tag kein Ende zu nehmen, denn wie fast schon zu erwarten gewesen war, ließ Dr. Isidor Sommerfeldt nicht locker und bestellte ihn kurz vor Feierabend in sein Büro. Schon auf den Stufen hinauf in den zwölften Stock fühlte Wehmeyer, wie sein Magen revoltierte und er das dringende Bedürfnis hatte, sich zu übergeben.
Er musste durchhalten!
Er musste es schaffen, der neue Chef dieser Behörde zu werden, denn es war die einzige Möglichkeit, die Dinge zu ändern. Das System konnte nur bezwungen werden, solange man es von innen heraus angriff. Von außen war es unverwundbar. Wer demonstrierte dies besser als Albert Glück? Vielleicht war Sommerfeldt gerade deswegen so alarmiert, denn sonst interessierten ihn andere Menschen nur insoweit, als er sie demütigen konnte, wann immer er wollte.
Mit gesenktem Kopf öffnete
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