Das Glücksprojekt
aber das scheint mir jetzt gar nicht so eine brandneue Erkenntnis. Da hätten sich die Wissenschaftler wahrscheinlich die eine oder andere Studie sparen können.
Wäre das nicht schön, wenn jeder Mensch einfach monatlich sein Grundeinkommen bekäme, egal, ob er viel oder gar nichts verdient, 17 oder 70 Jahre alt ist? Stellen Sie sich das vor, da lösen sich doch gleich ganz viele Sorgen und Ängste in kleine Juhu-Wölkchen auf. In einigen Ländern, unter anderem auch in Deutschland, wird dieses Modell politisch diskutiert. Finanziert werden könnte so eine Idee unter anderem dadurch, dass die komplette Bürokratie wegfällt: keine Formulare, keine Sachbearbeiter, keine Prüfungen der Bedürftigkeit. Klingt wahnsinnig gut, oder?
Trotz allem hängen wir ja doch dem Glauben an, dass viel Geld uns viel glücklicher machen würde. Nicht umsonst spielen die Deutschen für mehrere Milliarden Euro im Jahr Lotto wie die Weltmeister. »Deppensteuer« sagen die einen, die anderen genießen das Gefühl der kleinen Hoffnung. Ich ebenfalls. Ich lasse mich auch nicht von den regelmäßigen Berichten im Fernsehen irritieren; jenen über Leute, die im Lotto den Millionen-Jackpot gewonnen haben und kein halbes Jahr später pleite, unglücklich und verhasst waren. Bei mir wäre das ganz anders. Ich weiß genau, was ich in welcher Reihenfolge machen und kaufen würde, falls der Jackpot kommt. Wenn es nächsten Samstag an der Tür klingelt und ein Mann von der Lotteriegesellschaft mit einem schwarzen Koffer vor der Tür steht, um mir zu sagen, dass ich wahnsinnig viel Geld gewonnen habe … Der müsste sich nicht mal hinsetzen, wir könnten gleich losgehen, die Route habe ich im Kopf. Wir würden zuerst beim Drogeriemarkt Douglas einkehren. Nicht, weil der Priorität hat, sondern weil es das erste Geschäft ist, an dem wir auf unserem Weg vorbeikämen. Ich würde alle Make-ups und Lippenstifte durchprobieren, und zwar ganz ohne das schlechte Gewissen gegenüber der Verkäuferin, das ich normalerweise habe, weil ich vorher schon weiß, dass ich das billigste Teil aussuchen werde. Ich nehme nur, was ich möchte, egal, was es kostet. Eine neue Pflegelinie von Biotherm? Ins Körbchen! Die perfekte Lippenstiftfarbe ist von Chanel? Ins Körbchen! Puderquasten in allen Größen und ein Schmink-Reiseset? Sì, señor.
Nach Douglas müssten wir dann rechts abbiegen, da geht es in die Passage, wo Tiffany sein’ Laden seit Jahren eine Kette für mich liegen hat. Dann weiter zu Hugo, wo das schwarze Kleid hängt, und direkt im Anschluss, mit dem schwarzen Kleid, zwei Straßen weiter zu Sergio Rossi, da such ich dann ein bis fünf Paar passende Schuhe dazu aus. Auf meiner Einkaufstour liegen noch ein Kosmetikstudio, ein Habitat-Einrichtungsgeschäft, ein Luxusfriseur, ein Chocolatier und ein Buchladen. Das wäre Tag eins meines Lottogewinns. Danach reihen sich die Eigentumswohnung in der Innenstadt mit Dachterrasse, ein Häuschen im Grünen mit Pferd, ein Motorrad der Marke Triumph für L., Reisen, Einkäufe im Bioladen und Geschenke hintereinander auf, es gäbe so viel zu tun, die ganzen Spenden noch gar nicht mitgerechnet.
Was daran soll mich denn nun nicht glücklich machen? Die Gewöhnung, sagen die Wissenschaftler. Lottogewinner sind im Schnitt nach zwei Jahren genauso glücklich wie vor dem Gewinn. Gut, die zwei Jahre haben es aber auch in sich, finde ich. Wenn die Shoppingtour, die Wohnung und das Haus am See nichts Besonderes mehr sind, ist man natürlich eine arme Sau. Da sich in meinem Fall wahrscheinlich kein Gewöhnungseffekt in Sachen Luxus einstellen kann, müsste mein Glücksgefühl ja wie ein Flummi nach oben schnellen, wenn ich mir etwas Besonderes leiste. Das mache ich, ich werde mir etwas unerhört Luxuriöses leisten. Etwas, das ich schon immer gerne gehabt hätte und nicht brauche. Mal sehen, wie glücklich es mich macht.
Mir etwas Luxuriöses leisten, das ich nicht brauche
Ich bespreche mit L., was für ein Luxusgut ich mir gönnen könnte. »Ein Motorrad der Marke Triumph?«, schlägt L. vor. Netter Versuch.
Nein. Es ist auch nicht so, dass ich tatsächlich überlege, was ich will. Das ist nur eine Alibi-Diskussion. Ich weiß haargenau, was ich haben möchte. Erwähnte ich die Kette bei Tiffany’s? Genau die. Aber je teurer etwas ist, desto öfter fahre ich um den heißen Brei herum. Ich nähere mich teuren Anschaffungen wie einem knurrenden Hund. Ganz langsam und beruhigend drauf einredend. Ich ziehe Kreise drum herum
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