Das Glücksprojekt
und halte so viel Abstand, dass mich der Preis nicht in die Wade zwickt. Je teurer etwas ist, desto länger dauert der Tanz. Ich zähle die Vor- und Nachteile eines luxuriösen Wellnessurlaubs auf, lege den Kopf schief und wäge ab. »Es müsste etwas sein, was nicht an Wert verliert«, überlege ich laut und L. nickt. »Vielleicht auch nichts Großes, wir haben ja nicht so viel Platz«, füge ich noch hinzu. »Ja«, meint L., »so was wie Schmuck vielleicht oder eine HiFi-Anlage von Bang & Olufsen!« Bei den Worten »Bang & Olufsen« leuchten seine Augen auf. Warum muss eigentlich an allem, was Männern gefallen soll, ein Schalter dran sein?
»Schmuck ist keine schlechte Idee«, stimme ich zu. Na also, da wären wir. Für mich ist die Suche hiermit beendet, ich könnte noch ein paar Zweifel bezüglich des Preises äußern und wäre dann bereit, mich überzeugen zu lassen die Kette zu wollen. Aber L. ist jetzt in Fahrt: »Oder ein Goldbarren – was kostet eigentlich ein Goldbarren? Oder eine 25er Siglo VI ?«
»Du spinnst ja«, finde ich und hänge mich ans Telefon, um die Anschaffung mit Jana zu besprechen. Ich komme gar nicht dazu, die Vor- und Nachteile von Designer-Stereoanlagen, Sporträdern oder Spa-Aufenthalten darzulegen: »Du willst doch sowieso die Kette«, sagt sie. Es kennt einen eben niemand so gut wie die beste Freundin. Jana findet die Kette zwar auch schön, würde aber an meiner Stelle neue Möbel kaufen. Meine Mutter hingegen empfiehlt mir, in meine Gesundheit zu investieren in Form von einer Zusatzversicherung. »Nichts ist so viel wert wie gesund zu sein«, sagt sie. Damit hat sie natürlich recht – aber ich habe festgestellt, dass ich Gesundheit erst schätzen kann, wenn sie weg ist. Das ist wie mit Geldproblemen, irgendwie steht das in keiner Relation: Krank zu sein, Schmerzen oder Geldprobleme zu haben, macht mich sehr unglücklich. Gesund zu sein hingegen und Geld zu haben, macht mich aber anders herum nicht ebenso glücklich.
Anne findet Versicherungen und Möbel gleichermaßen überflüssig und schlägt ein zweiwöchiges Meditationsseminar in Indien vor. Oder eine Schweigewoche im Kloster, das kostet ungefähr 120 Euro die Nacht. 120 Euro? Dafür, dass ich eine Woche lang die Klappe halten muss, morgens um fünf aufstehe und im Klostergarten sitze? Das ist doch ein erstaunliches Phänomen, dass Leute, die sich einen fünfwöchigen Luxusurlaub im besten Hotel von St. Tropez leisten könnten, nicht in Urlaub fahren, sondern in ein Kloster gehen oder den Kilimandscharo besteigen, wo sie sich in einem windigen Zelt die Zehen abfrieren und sich vor ihrem Führer ihres Geldes schämen. Oder sie latschen sich in fünf Wochen auf dem Jakobsweg die Socken durch und treffen dort auf Tausende Schwaben. Oder expedieren in die Antarktis und essen rohe Robben. Kurz, sie verbringen eine Zeitspanne an einem möglichst ungastlichen Ort, ringen dort mit beschissenem Wetter und fragwürdigem Essen, um nachts auf einer unbequemen Schlafstatt zu erahnen, dass Geld nicht glücklich macht. Um das toll zu finden, muss man Geld haben. Wer kein Geld hat, nimmt die fünf Wochen in St. Tropez. Oder eine Kette von Tiffany’s.
Beim traditionellen Sonntagsessen mit meinem Stiefvater spreche ich das Thema Geld wieder an. Diesmal relativiert er seine Aussage. »Geld macht nicht glücklich, das stimmt schon«, gibt er zu und nippt an seinem Weinglas. Genüsslich schließt er die Augen und genießt den guten Roten. Dann sieht er mich an und aus seinen Augen blitzt der Schalk: »Aber man kann sich eine Menge Dinge kaufen, die glücklich machen.«
Die Kunst ist also zu wissen, was einen glücklich macht. Macht mich eine Kette von Tiffany’s wirklich glücklich? Bin ich so oberflächlich materialistisch gestrickt? Kann mir ein Stück Schmuck echte Befriedigung verschaffen? Ich überlege kurz und die Antwort ist: Ja! Ich stehe vor dem Schaufenster und atme tief durch. Unzählige Male stand ich hier und habe die Ausstellungsstücke bewundert, Kollektionen sind an meinem Auge vorbeigewandert und haben in Gedanken meinen Hals geschmückt. Kette, Ohrringe, Armbänder kamen und gingen, aber eine Kette war immer hier: der Klassiker, eine schwere Gliederkette mit einem auffälligen Verschluss, die perfekte Kette. Und jetzt ist es so weit. Ich habe mich extra hübsch gemacht und trage dem Anlass entsprechend meine Audrey-Hepburn-Sonnenbrille. Als ich den Laden betrete und der flauschige Teppich meine Schritte verschluckt, komme
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