ich mich und zucke ein bisschen vor der Frage zurück: Schließlich gilt, wer nicht über eine stattliche Anzahl von Freunden verfügt, als asozial, ausgestoßen und unattraktiv. Gibt es etwas Schlimmeres, als sagen zu müssen: Ich habe keine Freunde? Als Mann kann man ja wenigstens ein »einsamer Wolf« sein, aber eine einsame Wölfin ? Gut, ich bin keine einsame Wölfin, das wäre übertrieben. Aber ich habe keinen Freundes kreis . Eher ein Freundesdreieck. Und das ist eine ziemlich magere Veranstaltung. Deswegen irritieren mich auch diese Reality-Dokus im Fernsehen, in denen Häuser umgebaut werden: Da kommen die Eigentümer nach der Renovierung zurück und vor der Türe stehen Hunderte von Freunden und Bekannten. Das macht mich fertig. Kann mir jemand sagen, dass die nicht echt sind? Vielleicht kommt es auch nur darauf an, wie man Freundschaft definiert. Joachim Kaiser, ein großer Gelehrter der Geisteswissenschaften, hat in einem Interview gesagt: »Sie können sich, wahrscheinlich erfolglos, selbst mit 90 noch Hals über Kopf verlieben. Freundschaft aber ist ein menschliches Glück, das sehr viel Zeit braucht. Man muss miteinander verdammt viele Scheffel Salz gegessen haben, man muss Erfahrungen gemacht haben, man muss sich auch mal gestritten haben, man muss ein bisschen aneinander gelitten haben, man muss voneinander gelernt haben. Das macht Freundschaft aus.«
Demnach tue ich mich ziemlich leicht beim Zählen, mein Freundeskreis besteht nämlich aus zwei Personen. Plus vielleicht L., den könnte man noch dazurechnen, denn wir haben weiß Gott schon oft miteinander gestritten. Drum herum tummeln sich noch einige Menschen in der Nähe des Freundchen-Status wie Teenager um eine Dorfbushaltestelle, manche näher, manche weiter entfernt. Eine meiner zwei Freundinnen ist Anne. Meine Freundin mit dem Eso-Fimmel. Würde ich Anne heute kennenlernen – ich würde sie nicht zweimal treffen. Mir geht die Eso-Nummer bei allen anderen Leuten außer Anne auf die Nerven. Warum bei ihr nicht?
Vielleicht, weil ich das Gefühl habe, ihr Innerstes zu kennen. Der Mensch, der sie ist, ihre Natur. Und die ist wunderbar – da kann sie noch so viele energiegeladene Pullis drüberziehen, ich werde durch sie hindurch immer Anne sehen und nicht die Eso-Tante. Ist das das Besondere an alten Freundschaften? Dass man die Menschen kennengelernt hat, bevor sie sich hundert selbst gestrickte Pullis überwerfen und von ihnen selbst nichts mehr zu erkennen ist? Bevor sie anfangen, anderen etwas vorzumachen, das dann mit der Zeit selbst glauben und sich dadurch verlieren? Bin ich nur zu faul, den einen oder anderen Freund zu ent-decken? Zu uninteressiert? Oder ist es mir einfach zu aufwendig? Ich frage Anne, was sie meint. »Ich denke, das liegt an deinem Sternzeichen.« Ach, Anne.
Andere Jugendfreundschaften gingen langsam auseinander. So langsam, dass der Trennungsschmerz zu verwinden war, aber ebenso endgültig. An sie erinnere ich mich fast wie an vergangene Liebesbeziehungen: Schön war es mit euch, ich werde euch nicht vergessen. Zumindest habe ich mich so an sie erinnert, bis Stayfriends, Facebook und Xing auf der Internetfläche erschienen sind. Da war es dann vorbei mit der Romantik. Klassentreffen konnte man noch meiden, wenn man nicht zu neugierig war. Weil dort eh nur diejenigen anzutreffen sind, an die man sich damals schon nicht erinnern konnte. Die interessanten Leute kreuzen nie bei Klassentreffen auf, das ist ein Gesetz. Und wenn man selbst dort sitzt und sich die Leben der anderen in Echtzeit anhört (mein Haus, meine Kinder, meine Riesterrente), betrinkt man sich nur und macht dann selbst mit (mein Übergewicht, mein Beziehungsmalheur, mein Karriereknick). Dank der Internetplattformen kann man dem nicht mehr ausweichen. Man meldet sich an, weil man irgendwie schon immer wissen wollte, was aus dem großen Schwarm aus der Parallelklasse geworden ist, und dann ist man eigentlich schon geliefert. Es melden sich all jene, mit denen man aus gutem Grund nicht in Kontakt geblieben ist, und außerdem alle Exfreunde, die wissen wollen, wie man jetzt so aussieht und ob sie was verpasst haben. Ich persönlich habe zumindest alle Exfreunde abgeklappert, um zu sehen, wie sie jetzt aussehen und ob ich etwas verpasst habe. Das Schwierige ist dann, den E-Mail-Kontakt souverän wieder ausklingen zu lassen. Die Mehrheit sieht ungefähr so aus:
Von:
[email protected]Betreff:
Alex?
Datum:
30. März 2009