Das Glücksprojekt
Tobias. »Du siehst aus wie immer«, sage ich, und Tobias sagt im selben Augenblick genau das Gleiche. Wir lachen und er bietet mir seinen Arm an, »Komm, Charly kauft gerade da hinten ein Eis.« Charly kommt uns entgegen, sie winkt mit drei Eis und strahlt übers ganze Gesicht. »Da bist du ja«, sagt sie und drückt mich an sich und an die Vanillekugeln. Als wir später mit einer Flasche Weißwein auf einem Lager aus Teppichen und Liegekissen auf Tobias’ Dachterrasse sitzen, uns unterhalten und in die Sterne gucken, ist es, als hätte es die letzten 20 Jahre nicht gegeben. Ich fühle mich wohl und frei, denn ich bin bei Menschen, die mich gut kennen, und zwar so, wie ich wirklich bin. (Und mich trotzdem mögen.) Ich hätte mich gar nicht so oft umziehen müssen. Ich hätte auch im Dirndl oder in ärmelloser Jeansjacke kommen können. Das ist nämlich tatsächlich das Besondere an alten Freunden: Sie schauen durch alle Verkleidungen hindurch. Diese Woche wird super. Das spüre ich.
Mindestens einen neuEn Freund/in finden
Meine Bilanz an Neuen Freunden ist nicht das, was man unübersichtlich nennen kann, das habe ich an einem Finger abgezählt: Jana. Jana lernte ich während des Studiums kennen, sie fiel mir gleich am ersten Tag auf, sie trug nämlich ein T-Shirt mit der Aufschrift »Andere Länder, andere Titten«. Wir verstanden uns auf Anhieb. Während der Jahre kamen immer mal wieder neue Freunde hinzu, aber sie gingen auch wieder. Wie durch eine Eingangs- und Ausgangstür. Geblieben ist Jana. Ich bin mir sicher, dass es da draußen noch mehr Menschen gibt, mit denen ich befreundet sein könnte. Vielleicht ist es die Trägheit, die mich daran hindert, neue Menschen zu entdecken. Schließlich bedeuten Freunde auch Aufwand – ich habe manchmal das Gefühl, ich bin mit Jana und Anne schon ziemlich ausgelastet, was meine freundschaftlichen Kapazitäten angeht. Aber eine/n neue/n Freund/in will ich mir suchen, das kann nicht so schwer sein!
Nur wo bekommt man neue Freunde her? Im Internet gibt es unzählige Portale, die auf Freunde- oder Partnersuche spezialisiert sind. Aber ich habe keine Lust auf chatten. Es ist in jedem Chat mit mehreren Leuten das Gleiche: Man kann darauf warten, bis der Erste beleidigend wird, weil ihm was gegen den Strich geht. Gibt es schon einen Begriff für diese Zeitspanne? Bis der Erste in einem Chat »Arschloch« sagt? Das Internet ist zum Freundefinden durchgefallen. Also wo soll ich suchen? Egal, Hauptsache, in der Nähe , ist die Schlussfolgerung einer Untersuchung, die der Sozialpsychologe Leon Festinger 1950 in einem Studentenwohnheim anstellte. Dabei kam heraus, dass sich Freundschaften hauptsächlich zu den näheren Zimmernachbarn entwickelten. Je näher, desto Freund. Mit jeder dazwischenliegenden Tür wächst die Unwahrscheinlichkeit einer Freundschaft seiner zugehörigen Bewohner. Zu einem ähnlichen Schluss kamen Psychologen der Universität Leipzig, die im Rahmen einer Studie neue Studenten vor der ersten Vorlesung abfingen und ihnen per Los Sitzplätze im Hörsaal zuteilten. Nach einem Jahr wurden die Studenten über ihre Freundschaften zu den Kommilitonen befragt und es stellte sich heraus, dass sie mit jenen besser befreundet waren, neben denen sie in der ersten Stunde gesessen hatten. Sogar mit denen, die nur in der gleichen Reihe saßen, waren sie mehr verbunden als mit den anderen. Erstaunlich, oder? Da meinen wir immer, wir suchen unsere Freunde aus, weil sie uns ähnlich sind oder uns ergänzen oder toll sind, und sehen die Tatsache, dass sie damals in der Uni neben uns saßen, als glückliche Fügung an – derweilen haben wir sie nur ausgesucht, weil sie eben da saßen. Und die sogenannte Realität gibt den Experten recht: Die meisten Leute finden ihre Partner und ihre Freunde dort, wo sie viel Zeit verbringen – in der Arbeit.
So ein Scheiß, denke ich am nächsten Tag, als ich in der Agentur an meinem Schreibtisch sitze und mir gegenüber die Drösel mit einem »Halli-Hallöchen!« Platz nimmt. Da muss es andere Wege geben.
Einem Verein beizutreten, heißt es, wäre eine Möglichkeit. Nachteil: Man lernt nur Vereinsmeier kennen. Einen Hund soll ich mir anschaffen – ich habe einen Schmitz, der zählt durchaus als Hund. Aber mit den Leuten, die ich durch Schmitz kennenlerne, spreche ich selten über etwas anderes als über Kauknochen und Wurmkuren. Von den meisten kenne ich nicht mal den Namen, die tragen alle Adelstitel: das Frauchen von oder das Herrchen
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