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Das Glücksprojekt

Das Glücksprojekt

Titel: Das Glücksprojekt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexandra Reinwarth
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Dann meldet sie sich. Mist. Erst berichtet sie von ihrem Hund, der »um ein Haar« gestorben wäre, dann machen wir ein Treffen aus. Ich schlage das Café Einstein vor, neutrales Gebiet, nicht zu voll und die Toilette hat ein Fluchtfenster. Nur für den Notfall. Vor unserem Treffen überlege ich, wie ich dem Gespräch aus dem Weg gehen könnte. Ich würde einfach umziehen, eine neue Telefonnummer beantragen und die Mailadresse löschen. Die Arbeitsstelle zu wechseln ist möglich, und nach einer kleinen Operation wäre auch mein Gesicht nicht mehr zu erkennen. Oder wir wandern gleich aus. Spanien vielleicht. Oder die Azoren? Zugegeben, das ist nicht ganz ohne Aufwand, aber gemessen an meinem Treffen mit Kathrin – well.
    »Soll ich mitgehen?«, fragt mich L. nachdem er mit hochgezogenen Augenbrauen meine Überlegungen verfolgt hat.
    »Das wäre wunderbar«, freue ich mich, »dann brauche ich ja eigentlich selbst gar nicht mehr mitgehen!«, aber daraus wird wohl nichts. Ich kann ja niemand anderen vorschicken, wir sind nicht mehr in der Grundschule. Obwohl sich Jana darum reißt, für mich hinzugehen. »Und dann sage ich ihr noch …«, und sie hält sich einen Zeigefinger an die Stirn, – »… darf man als Frau Fotze sagen?«, überlegt sie laut. Nein, das wird so nichts, da muss ich alleine durch. »Darf ich nicht wenigstens mitkommen?«, bettelt Jana, »ich setze mich auch in eine andere Ecke.« Ich überlege, ob das geht. »Und von da aus strecke ich ihr dann die Zunge raus«, freut sie sich schon. »Unter gar keinen Umständen kommst du mit«, beschließe ich und beende die Diskussion. Das ist ja lächerlich. Ich bin mit einem Miss Sex -Schild auf einer 350-Mann starken Hochzeit rumgelaufen, da werde ich doch ohne Hilfe diesen manipulativen Jammerlappen loswerden. Oder?
    Für unser Treffen mache ich mich hübsch wie für ein Date. Ich schätze, da ist eine Automatik in meinem Hirn angesprungen:
    1. Ein Treffen + 2. Aufregung = 3. Date! → Hübsch machen!
    Im Einstein ist nicht viel los, Kathrin ist noch nicht da. Ich setze mich in einen der dunkelrot gepolsterten Samtsessel und atme tief durch. Es muss ja auch nicht dieses Mal sein, denke ich, und das ist ein beruhigender Gedanke. Kathrin kommt, wie immer, eine halbe Stunde zu spät und ist, auch wie immer, im Stress. »Sorry, aber ich musste Jean-Claude jetzt noch schnell bei der Massage abliefern, diese Betten in dem Hotel in Venedig, das du uns empfohlen hast, waren ja ka-tas-tro-phal.« Wie sie es immer schafft, dass ich ihr gegenüber ein schlechtes Gewissen bekomme. Obwohl ich gerade drei Tage lang ihr Heim, ihren Hund und ihren beschissenen Pool gehütet habe. Sensationell.
    »Kathrin, ich muss mit dir reden«, fange ich an und werde sofort unterbrochen: »Ja, wir haben uns ja so lange nicht mehr gesehen, das Schlimmste weißt du ja noch gar nicht.« Und das ist der Moment, wo so eine kleine Wut in mir hochsteigt.
    »Der Mann meiner Mutter hat wahrscheinlich Krebs.« Daraufhin verschränkt sie die Arme vor der Brust, lehnt sich zurück und sieht mich erwartungsvoll an. So weit ich mich erinnern kann, konnte sie den zweiten Mann ihrer Mutter noch nie leiden. Und »wahrscheinlich Krebs« hieß bei Kathrin so viel wie »es wurde ihm vorsichtshalber eine Gewebeprobe entnommen«. Und er ist jetzt Mitte 80. Und ich kenne ihn nicht mal. Verstehen Sie mich nicht falsch, das ist eine grässliche Diagnose, aber ich kann das nicht mehr ernst nehmen. Vielleicht auch wegen der Wut, die macht das Herz vorübergehend hart.
    »Tja«, sage ich und sehe sie ebenfalls an. Das ist nicht die Reaktion, die sie von mir gewöhnt ist. Sie beugt sich nach vorne und rührt heftig in ihrem Kaffee. »Aber wen interessiert das schon«, seufzt sie, guckt in ihre Tasse und macht dabei wieder das Madonnen-Gesicht. Fotze , denke ich.
    »Für wen hast du dich überhaupt so angemalt?«, fragt sie scheinbar interessiert, aber bevor ich antworten kann, sieht sie aus dem Fenster und redet weiter: »Ich ziehe ja den Nude-Look vor, man muss es natürlich aber auch tragen können …«, und während sie weiterredet, sehe ich uns beide von oben im Café Einstein sitzen, als wäre ich eine Kamera und sähe auf uns herab. Und da ist sie wieder, die Wut von gerade eben. Ich will sie mir zunutze machen. Normalerweise legt Wut das Mitgefühl und die Empfindsamkeit kurz auf Eis und dann sage ich unter Umständen etwas Verletzendes, das mir hinterher leidtut. Jetzt aber kann ich die kurze, innere

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