Das Glücksprojekt
Eiszeit dazu verwenden, Kathrin etwas zu sagen, das ich sonst nicht übers Herz bringen würde.
»Kathrin?«, unterbreche ich sie und sie sieht mich mit hochgezogenen Augenbrauen an. »Ja?«
»Fick dich.«
Die Suche nach dem Sinn
Wer sinnvolle Dinge tut und anderen hilft, gewinnt an Lebensfreude und Glück. Man hat ein gutes Gewissen, das Selbstwertgefühl wird gestärkt, man fühlt sich mit dem anderen verbunden, Wohlfühlhormone werden freigesetzt und Stress wird reduziert. Tiefe Zufriedenheit und Erfüllung sollen sich einstellen. Deswegen werde ich mir eine sinnvolle Tätigkeit suchen. Oder wie L. es nennt: Karma-Punkte sammeln. Angeblich ist jeder Dritte in Deutschland in irgendeiner Form ehrenamtlich tätig. Jeder Dritte? Wieso kenne ich keinen davon? Und die Palette möglicher Hilfsaktionen ist breit gefächert! In Freiwilligenagenturen kann man sich aussuchen, ob man lieber Behinderte während ihrer Ferienfreizeit betreut, eine Kita renoviert, für Tibeter Wohnungen in München sucht oder Essen bei der Tafel ausgibt. Obwohl – einen kenne ich schon, der sich ehrenamtlich engagiert, und zwar meinen Schwiegervater: Der trägt das Kirchenblatt aus. Da verstehe ich allerdings das System nicht – die Kirche müsste doch eigentlich wirklich genug Kohle haben, um ihre Zeitschriften per Post zu verschicken. Da könnte er ja gleich Prospekte für BMW austragen, finde ich.
Während L. am Abend ein Huhn mit Zwiebeln füllt, überlege ich laut, ob ich lieber eine Schule in Russland mit aufbaue oder ein Waisenheim in Mosambik. In die engere Wahl kommt außerdem ein Camp für Erlebnispädagogik auf Sizilien.
»Ich könnte mich auch für den Transport medizinischer Geräte nach Peru melden!«
»L.? Was meinst du?« Die Antwort kommt sofort: »Spende Geld.«
Aber Geldspenden oder anonyme Hilfe haben bei Weitem nicht denselben Effekt, man muss schon tatsächlich aktiv werden. L. lässt nicht locker: »Alex, was sollen die denn in Mosambik mit dir anfangen? Du hast keine Ahnung, wie man ein Haus baut, wahrscheinlich stehst du denen im Weg rum und beschwerst dich, dass es so heiß ist.«
»Hm«, überlege ich, »wie heiß ist es denn da?« L. verdreht die Augen. Manchmal kann man wirklich nicht mit ihm reden.
»Ich finde, du hast schon so was Ähnliches wie ein Ehrenamt«, sagt Jana am nächsten Tag und sieht mich nachdenklich an. »Und das wäre welches?«, will ich wissen und gehe im Kopf Seniorenheime, Wüstenbrunnen und Waisenheime durch, aber: kein Treffer. Jana zuckt mit den Schultern: »Na, das Onkelchen!« Ach herrje, das Onkelchen.
Das Onkelchen
Der Onkel ist gar nicht mein Onkel, so geht es schon mal los. Er ist der Onkel von Thomas. Thomas, ein alter Bekannter von L., wohnte jahrelang in einer kleinen Hütte außerhalb der Stadt auf einem großen Grundstück im Wald. Eines Tages stand sein Onkel vor dem Tor beziehungsweise er saß in seinem Auto und hupte. Am Auto hintendran hing ein Wohnwagen, das Zuhause vom Onkel. Der Onkel war nämlich rausgeflogen aus seinem Haus, nachdem seine zweite Frau ebendieses mit extremen Verlusten an Geldautomaten verspielt hatte. Haus weg, Frau weg und kein Stellplatz für seinen Wohnwagen – für das kleine, alte Onkelchen sah es nicht gut aus. Und weil Thomas kein schlechter Mensch ist, blieb sein Onkel fortan bei ihm. Er stellte seinen Wohnwagen in die hinterste Ecke des Grundstücks und begann sich einzurichten. So weit, so gut. Leider ist Thomas aber vor vier Jahren nach Spanien ausgewandert. Währenddessen ist die Hütte im Wald in sich zusammengefallen und das Onkelchen ist auch kurz davor. Seit Thomas weg ist, fahren L. oder ich alle ein, zwei Wochen zum Onkel, um nach dem Rechten zu sehen. Vor dem uralten Wohnwagen steht sein Opel Astra aus dem Jahr 1723 und dazwischen sind mehrere Lagen Plastikplanen gehängt: die Terrasse. Auf der Terrasse stapeln sich Eimer mit Batterien (es gibt nämlich keinen Strom), leere Hundefutterdosen, Stapel mit Wäsche und Dinge, deren Nutzen man nicht erraten kann. Auf dem Auto liegen Schaumstoffmatratzen, die den Opel vor weiterer Verwitterung schützen sollen und dem Ganzen den Charme eines Sperrmüll-Lagers verleihen. Der Wald macht daraus einen dunklen, feuchten und ungemütlichen Ort, an dem es immer etwas modrig riecht, und es gibt jede Menge Nacktschnecken, die überall Schleimspuren hinterlassen. Die Toilette vom Onkel besteht aus einem roten Eimer, den er in den Wald leert, nicht zu verwechseln mit dem grünen Eimer, darin
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