Das Glücksprojekt
Onkelchen. »Klar«, großzügig und mit dem nachsichtigen Lächeln einer Benefiz-Diva sehe ich mir das Handy an. Es dürfte aus dem gleichen Jahr wie der Opel Astra sein und wiegt so viel wie ein mitteldickes Buch. Ich drücke im Menü herum und suche mir einen Wolf, aber ich finde keine Möglichkeit, den Ladeton abzustellen. Das gibt’s doch nicht, denke ich mir, aber das gibt es eben doch. »Also, das ist komisch«, sage ich und der Onkel nimmt mir das Handy wieder aus der Hand. Ich sehe ihm hinterher, als er es wieder in seinen Wohnwagen bringt. Was mache ich hier eigentlich? Als ich mitsamt meinen Einkaufstüten wieder gehe, begleitet mich das Onkelchen zum Tor. Das ist nämlich abgesperrt und ohne Schlüssel kommt man weder hinaus noch hinein. Um das Schweigen zwischen uns zu vertreiben, frage ich ihn nach den Namen der Welpen. Erst glaube ich, er hat mich nicht gehört, aber dann sagt er: »Johnny und Chickie.«
Als ich L. an diesem Abend von meinem fatalen Onkeltrip erzähle, weiß der genau, was ich meine. »Das ist schon gettoartig beim Onkelchen, das muss man so sagen.« Dann runzelt er die Stirn: »Ich dachte, die Welpen heißen Santi und Susi?« Ich räume die Ravioli und die Seife aus den Einkaufstüten und da fällt mir auf: Die Schokolade ist weg.
Als ich das nächste Mal vor dem Tor stehe, ist der Onkel in heller Aufregung: Er muss sein Auto ummelden, es fehlen ihm aber die Fahrzeugpapiere, die haben zur Hälfte die Mäuse gefressen. Darum müssen wir jetzt sofort los und neue Papiere beantragen. »Gut«, sage ich und bin froh, dass ich was tun kann. »Ich rufe beim Straßenverkehrsamt an …«, aber da habe ich die Rechnung ohne das Onkelchen gemacht. Das weiß schon ganz genau, wie es die Sache lösen will: Ich soll ihn nur in die Stadt fahren. So schnell er kann, wackelt der Onkel zurück zu seinem Wohnwagen, um seine Unterlagen zu holen. Ich warte lange an dem Tor, es hat 59 Eisenstäbe, an 34 von ihnen ist die grüne Farbe abgeblättert. Ich habe das mehrfach nachgezählt. Als der Onkel wieder erscheint, trägt er einen ehemals schwarzen Anzug und einen Aktenkoffer, der vom Design mit seinem Handy und dem Opel Astra auf einer Linie liegt. Während wir durch die Vororte der Stadt rollen, überlege ich, ob er überhaupt nach vorne raussehen kann oder ob er dazu ein paar Kissen bräuchte. Das traue ich mich aber nicht zu fragen. »Wo genau müssen wir denn hin?« Der Onkel wendet den Blick nicht von der Straße: »Zur Sparkasse.«
Das wundert mich jetzt ein bisschen, was hat denn eine Bank mit den Fahrzeugpapieren zu tun? »Bist du dir sicher?«, frage ich. »Selbstverständlich«, sagt der Onkel. Als wir in der Sparkasse vor einem Schalter stehen, hinter dem uns eine junge Frau namens »Frl. Biersack« freundlich entgegenlächelt, lächelt der Onkel ebenso freundlich zurück – und sagt kein Wort. Er blickt Frl. Biersack geradeaus ins Gesicht und wartet. Wie ein Staatslenker, der still lächelnd wartet, dass sein Dolmetscher die nötigen Worte ausspricht. »Äh, wir kommen wegen der Fahrzeugpapiere …«, fange ich an zu erklären. »Die Mäuse haben nämlich einen Teil, also einen großen Teil, der alten Papiere aufgefressen und mein Onkel hier«, ich nicke zu ihm rüber, der immer noch Frl. Biersack ins Gesicht lächelt, »nun, er meinte, Sie könnten ihm in der Sache weiterhelfen.« Dabei versuche ich mit einem Schulterzucken zu signalisieren, dass ich mit dieser Idee nicht das Geringste zu tun habe und sie ausschließlich auf des Onkels Mist gewachsen ist. Frl. Biersack legt den Kopf leicht schief und streckt ihn ein bisschen nach vorne wie eine Schildkröte und wartet anscheinend darauf, dass der Teil der Geschichte kommt, der Sie etwas angeht. So etwas wie: »Und darum brauchen wir eine Überweisungsbestätigung« – oder was man in Sparkassen eben so als Anliegen mitbringt. Als sie begreift, dass dies nicht geschehen wird, hebt sie beide Handinnenflächen nach oben und ich überlege kurz, dass sie wie eine indische Gottheit aussehen könnte mit dieser Geste. Vorausgesetzt, sie hielte nicht einen Kuli und ein Papier darin, sondern Blütenblätter oder Räucherstäbchen. Während meinen Überlegungen verbeugt sich das Onkelchen, dreht sich um und geht. Ich lächle noch mal entschuldigend Frl. Biersack an, die in ihrer Geste versteinert ist, und hole das Onkelchen ein. »Also?«, frage ich gereizt. »Was jetzt?«
»Jetzt gehen wir zu meinem Steuerberater«, sagt das Onkelchen und sieht
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