Das Gluehende Grab
aber der Junge war wohl ziemlich
angetan.«
»Du hast
ihn also angerufen. Auf seinem Handy?«
»Ja«,
antwortete der Makler. »Das ist die einzige Nummer, die ich
von ihm habe.«
»Und du
kannst bestätigen, dass du mit ihm persönlich gesprochen
hast?«, fragte Dóra. »Es war nicht vielleicht
jemand anders am Apparat?«
»Nein,
das war er. Ganz sicher«, sagte der Mann überzeugt.
»Wir haben kurz über die weitere Vorgehensweise
gesprochen, aber er saß am Steuer und konnte nicht lange
reden.«
»Und von
welchem Apparat hast du angerufen?«
»Von
meinem Handy«, antwortete der Makler. »Ich war schon zu
Hause. Ich hab eine Geheimnummer – die ist auf seinem Display
nicht erschienen, falls du darauf
hinauswillst.«
»Ausgezeichnet!«
Dóra erklärte ihm, dass er die Aussage bei der Polizei
bestätigen müsse, und bat ihn, die Unterlagen über
das Gebot zur Sicherheit aufzubewahren.
»Weißt
du denn, ob Markús immer noch kaufen will?«, fragte
der junge Mann eifrig. »Wir konnten an dem Abend nicht
ausführlich darüber sprechen. Ich hab nämlich jede
Menge neue Immobilien reinbekommen, echt tolle Wohnungen. Die
Gelegenheit sollte er sich nicht entgehen lassen. Ich weiß,
dass die Umstände gerade ziemlich ungünstig sind. Ich
versuche trotzdem, ihm etwas zu vermitteln, aber ich weiß
nicht, wie lange ich andere Käufer vertrösten
kann.«
Dóra
musste grinsen. »Ich glaube, Markús hat im Moment
andere Probleme, als eine Wohnung zu kaufen. Aber ich bin mir sehr
sicher, dass er sich bald wieder darum kümmern wird. Du kannst
versuchen, ihn nach dem Wochenende zu erreichen. Dann ist
hoffentlich alles überstanden.«
Nachdem sie
sich von dem Makler verabschiedet hatte, rief sie hochzufrieden bei
Stefán auf der Wache an. Sie konnte sich kaum entscheiden,
wovon sie ihm zuerst erzählen sollte: von der Blutlache oder
von dem Telefonat mit dem Immobilienmakler.
29
SAMSTAG
21. JULI 2007
Auf der
Ausgrabungsstätte war es totenstill, bis auf das Knirschen von
Dóras und Bellas Schuhen, als sie über die Schlacke auf
dem Fußweg gingen. Es war, wie durch eine tiefe Senke zu
wandern – von der Umgebung war nichts zu sehen, außer
dem klaren Himmel und Resten einer Straße, die vor über
dreißig Jahren vom Erdboden verschwunden war. Dóra
hatte das unangenehme Gefühl, aus den zerbrochenen Fenstern
der unbewohnten Häuser beobachtet zu werden. Natürlich
wusste sie, dass außer Bella kein menschliches Wesen in der
Nähe war, fühlte sich aber dennoch unwohl. Als eine lose
Holzplatte auf dem Boden vor der verzogenen Eingangstür eines
kleinen Hauses im Wind klapperte, bekam Dóra eine
Gänsehaut. Das baufällige Haus musste einmal gelb gewesen
sein, war aber bei der Katastrophe mit einer schmutziggrauen
Schicht überzogen worden. Die Baracke wirkte so traurig und
verlassen, dass Dóra stehen bleiben musste. Es war nicht
schwer, sich eine staubverschmierte Frau mittleren Alters
vorzustellen, die im Morgenmantel am Fenster stand und darauf
wartete, dass das Leben dort weiterging, wo es im Januar 1973 so
urplötzlich aufgehört hatte.
Dóra
war solche Stille überhaupt nicht gewöhnt. In ihrer
ruhigen Wohngegend waren immer Verkehrsgeräusche zu
hören, und sogar nachts drang ein undefinierbares Brummen aus
den umliegenden Straßen an ihr Ohr. Hier gab es
überhaupt keine Geräusche, {264 }obwohl sie sich
unmittelbar oberhalb der Ortschaft befanden, in der bestimmt noch
nicht alle schliefen. Asche und Schlacke schluckten jeglichen
Lärm. Als ob man beim Fernseher den Ton ausgestellt hatte.
Dóra berührte Bella leicht an der Schulter, als sie vor
Markús’ Elternhaus angelangt waren. Als sie merkte,
wie albern das war, versuchte sie, es zu überspielen.
»Hier ist es«, flüsterte sie, obwohl sie gar nicht
flüstern wollte.
Bella starrte
stumm das Haus an. »Komm«, sagte Dóra etwas
lauter. Sie kletterte über das Seil, und Bella kam hinterher.
»Es ist überhaupt kein Problem«, sprach
Dóra sich selbst Mut zu. Was, wenn die Archäologen
auftauchten oder Überwachungskameras installiert waren?
Dóra fiel beim besten Willen keine gute Entschuldigung ein.
Hoffentlich kam wenigstens irgendetwas Brauchbares bei der Sache
heraus. Der alte Mann würde die Gegenstände
womöglich genauso apathisch anstarren wie alles andere, was
man ihm zeigte. Falls sie überhaupt etwas
fanden.
Sie kamen zur
Haustür, standen schweigend eine Weile davor und probierten,
ob ihre Taschenlampen noch genauso
Weitere Kostenlose Bücher