Das Gluehende Grab
Dóra war nach einer
längeren telefonischen Auseinandersetzung mit dem Hausherrn
dorthin gebeten worden. Bei dem Wortwechsel war es darum gegangen,
ob es vernünftig {255 }wäre, die Polizei über die
Blutlache und eine mögliche Verbindung zu Magnús zu
informieren. Am Ende hatte Leifur aus Rücksicht auf seinen
Bruder zugestimmt und versprochen, seine Mutter über den Stand
der Dinge zu unterrichten. Dóra war heilfroh, dass sie das
nicht selbst tun musste, denn die alte Dame schien fest
entschlossen, Dóra alles zu verschweigen, was ihrem Ehemann
schaden konnte. Und zum Glück war Leifur jetzt nicht da, denn
es war schon anstrengend genug, sich mit einer wütenden Person
auseinanderzusetzen. María war genauso empört wie ihr
Mann, dass ihr Schwiegervater in die Sache hineingezogen
wurde.
Dóra
schenkte María ein kühles Lächeln. »Das ist
gut möglich«, sagte sie, »aber es sind zwei
verschiedene Dinge, sich an etwas zu erinnern und darüber zu
reden. Ihr seid offenbar nicht besonders erpicht darauf, mich
über Dinge aufzuklären, die wichtig sein
könnten.«
María
zog einen Flunsch, was ihr schlecht stand. »Du kannst
vielleicht verstehen, dass wir nur ein sehr begrenztes Interesse
daran haben, dass der alte Mann von der Polizei drangsaliert wird.
Das könnte ihn schlicht und ergreifend ins Grab bringen.
Außerdem ist das eine alte Geschichte, von der niemand mehr
sagen kann, ob sie stimmt.«
»Und was
ist mit Markús?«, fragte Dóra. »Du willst
doch bestimmt nicht, dass er die Schuld für seinen Vater auf
sich nimmt.«
»Warum
nicht?«, sagte María wie ein kleines Kind. »Wenn
ich zu entscheiden hätte, würde Magnús in Ruhe
gelassen und Markús freigesprochen. Sie werden bestimmt
keinen Unschuldigen einsperren.«
»Auch
das ist schon vorgekommen.« Dóra wollte nicht weiter
mit der Frau über die Lage der beiden Männer diskutieren.
Offensichtlich hatte sie den alten Herrn gerne. »Euch scheint
nicht klar zu sein, dass er die Männer nicht umgebracht haben
muss, selbst wenn er mit dem Blut am Kai zu tun hatte. Wenn du mir
hilfst, kann ich das vielleicht beweisen.«
Die Frau
rutschte unruhig auf ihrem Stuhl herum und schlug die Beine
übereinander. Dóra taten schon die Zehen weh, wenn sie
nur die hochhackigen Schuhe der Frau ansah. »Ich kann dir
reinen Gewissens sagen, dass Magnús nie über einen Kopf
geredet hat«, sagte María schließlich.
»Alles, was er inzwischen noch sagt, bezieht sich auf die
Vergangenheit, aber er hat nie über einen Rumpf oder einen
Kopf gesprochen. Geschweige denn über Leichen. Daraus
schließe ich, dass er nichts damit zu tun hat.« Sie
ließ den Kopf hängen. »Ob du’s glaubst oder
nicht, Magnús war ein großartiger
Mensch.«
»Ich
bezweifle nicht, dass Magnús ein guter Mensch war«,
sagte Dóra. »Ich bin einfach nur hier, weil ich hoffe,
dass er etwas gesagt hat, das mir helfen kann, den Schuldigen zu
finden. Es kann schon länger her sein, vielleicht hat er ein
Wort fallenlassen, das merkwürdig oder unverständlich
war.« Dóra schaute María flehend an.
»Bitte versuch, dich zu erinnern.«
María
lächelte aufrichtig. »Merkwürdige,
unverständliche Dinge ... Es wäre leichter, die
verständlichen Dinge aufzuzählen, die Magnús seit
Ausbruch seiner Krankheit von sich gegeben hat.« Sie
schüttelte den Kopf. »Sein Zustand hat sich in den
letzten Jahren natürlich erheblich verschlechtert, aber er war
auch davor schon ziemlich verwirrt. Er hat noch mehr geredet und
mehr mitbekommen, aber was er gesagt hat, hatte wenig mit dem zu
tun, was um ihn herum passiert ist. Ich habe zum Beispiel über
das Wetter geredet und er über ein Fischfanggerät oder
so.«
»Hat er
schon mal so etwas gesagt wie letztens zu mir? Über Alda oder
über Falken?«
»Ja, das
hat er«, sagte María. »Ich weiß nicht, was
das mit dem Fall zu tun haben soll, aber er redet oft über
Vögel. Vor allem über Falken. Er sitzt stundenlang am
Fenster und schaut hinaus. Wenn ein großer Vogel
vorbeifliegt, fragt er mich, ob es ein Falke war. Ich sage immer
ja, denn das will er wohl hören.« Marías Blick
wanderte zum Fenster. Wie auf Bestellung flog eine Möwe
vorbei. María räusperte sich höflich und redete
dann weiter. {257 }Ȇber Alda hat er nicht viel
Verständliches gesagt, allerdings wusste ich bisher auch
nicht, wer diese Frau war. Ich dachte, sie wäre eine Verwandte
oder eine Jugendliebe.«
»Was hat
er über sie erzählt? Hat er das mit dem armen Kind jemals
näher
Weitere Kostenlose Bücher