Das Gluehende Grab
gelungen, eine Gruppe von
Männern so lange Zeit zum Schweigen zu bringen. Dóra
hatte das Schiff zwar auf dem Gemälde in Leifurs Haus gesehen,
aber das half ihr auch nicht weiter. Sie hatte nie etwas mit der
Seefahrt zu tun gehabt – das Hochseefischen mit Bella und
Paddi ausgenommen. Dies brachte sie auf einen anderen Gedanken:
Wenn die Leichen von der Crew des Segelboots stammten – wo
war dann deren Boot abgeblieben?
Ein diffuses
Geräusch an der Zimmertür ließ Dóra
zusammenzucken. Es ertönte erneut und war diesmal eindeutig
als Klopfen zu identifizieren. Dóra stand auf und
öffnete. Sie war sehr überrascht, Bella vor der Tür
stehen zu sehen – vollständig angekleidet und
abmarschbereit.
»Ich bin
so weit.« Bella musterte Dóra, die noch nicht
angezogen war, kritisch. »Ich konnte nicht mehr schlafen,
weil es so leise war.«
Dóra
schaute auf die Uhr. »Ich bin sofort fertig«, sagte sie
entschuldigend. »Willst du schon mal runter zum
Frühstück gehen?« Sie reichte Bella den Zettel mit
der Zusammenfassung. »Du kannst dir das hier schon mal
anschauen. Vier Augen sehen mehr als zwei. Ich brauche nur zehn
Minuten.« Lächelnd schlug Dóra der
Sekretärin die Tür vor der Nase zu.
»Darf
ich den Zettel noch ein bisschen behalten?«, fragte Bella,
während sie an ihrem schwarzen Kaffee nippte. Dóra
hatte nicht mehr mitgezählt, wie viele Tassen das Mädchen
beim Frühstück schon in sich hineingekippt hatte.
»Klar.
Hast du eine Idee?«
Bella
schüttelte den Kopf. »Nein, noch nicht. Aber du hast die
Vergewaltigung und diesen Adolf vergessen.« Sie drehte den
Zettel in Dóras Richtung. »Ich hab’s hier
zwischen geschrieben.« Sie zeigte auf ein unleserliches
Gekritzel.
»Ich hab
bestimmt noch mehr vergessen«, sagte Dóra. »Wenn
dir noch was einfällt, kannst du es gerne
dazuschreiben.«
»Ich
dachte, ich könnte mal versuchen, was über dieses Tattoo
rauszukriegen.« Bella zeigte auf die Liste. »Love
Sex«, murmelte sie. »Total lächerlich.« Das
Paar am Nachbartisch, das in einen Reiseführer vertieft war,
verstand plötzlich zwei Worte aus dem Gespräch und
grinste sich verschwörerisch zu.
Dóra
fand Tattoos im Allgemeinen lächerlich – Love Sex machte
da keinen großen Unterschied. »Was willst du machen?
Kennst du dich damit aus?«
»Ich hab
drei«, antwortete Bella und fummelte an ihrem
Pulloverausschnitt herum. Sie zog ihn herunter, und Dóra
erblickte oberhalb von Bellas gewaltigem Busen ein Einhorn.
»Eins«, sagte Bella und machte Anstalten, sich
umzudrehen, um Dóra etwas auf ihrem Hinterteil zu zeigen.
»Zwei ...« Das ausländische Pärchen warf
Bella verschämte Blicke zu.
»Ich
glaub’s dir«, sagte Dóra schnell. »Und wie
willst du etwas über dieses Tattoo
rauskriegen?«
Bella zupfte
ihre Kleidung zurecht und setzte sich wieder richtig hin.
»Mal sehen, ob es jemand kennt. Es gibt nicht viele
Tattoo-Studios in Reykjavík, und das Motiv ist
ungewöhnlich. Ich hab’s jedenfalls noch nie in einem
Skizzenbuch gesehen.«
»In
einem Skizzenbuch?«
»In den
Tattooläden sind Bücher oder Mappen mit Zeichnungen von
Tattoos ausgelegt, die man sich stechen lassen kann.« Bella
zuckte die Achseln. »Die hab ich damals natürlich
durchgesehen, aber Love Sex ist mir nicht
aufgefallen.«
Das junge
Pärchen kicherte. »Ja, check das doch mal.«
Dóra versuchte, die beiden zu ignorieren. »Ich glaube
nicht, dass es wichtig ist, aber man weiß ja nie.« Sie
schaute auf die Uhr und stand auf. »Wir sollten uns
beeilen.« Sie griff nach der Tüte, die an ihrer
Stuhllehne hing. »Mal sehen, ob wir Guðni auf den Zahn
fühlen können.«
»Du
dachtest also, du hättest dein Portemonnaie im Keller
liegenlassen, als du letztens mit Markús dort warst?«,
fragte der Polizist. Er machte keinen Hehl daraus, dass er
Dóra kein Wort glaubte, und schaute sie verärgert
an.
»Ja«,
sagte Dóra nervös. »Was spielt das denn für
eine Rolle?« Sie zeigte auf den Fischtöter auf
Guðnis Schreibtisch. Daneben lag ein Messer, das sie ebenfalls
in dem Karton mit dem Taufkleid entdeckt hatte. Es war zusammen mit
mehreren winzigen Schuhpaaren in einem Schuhkarton verstaut.
»Das sind die mutmaßlichen Tatwaffen in diesem
äußerst speziellen Fall. Du solltest mir lieber dankbar
sein, dass ich euch Arbeit abnehme.«
»Ich
möchte nur sichergehen, dass ich auch alles richtig verstanden
habe«, sagte Guðni seelenruhig. »Ihr kommt auf die
Westmännerinseln, und anstatt mich oder
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