Das Gluehende Grab
»Ausländische zum
Beispiel?«
»Nein«,
antwortete Kjartan wie aus der Pistole geschossen. Sein Gesicht
verdüsterte sich. »Ganz bestimmt
nicht.«
Dóra
beschloss, nicht weiter nachzufragen. »Kannst du dich
erinnern, ob du Markús und seine Freundin Alda in dieser
Nacht gesehen hast?«
»Nein.«
Kjartan wollte sich offensichtlich nicht weiter dazu
äußern.
»Bist du
sicher? War Markús nicht bei seinem Vater, deinem
Kumpel?«
»Seinen
Vater hab ich natürlich getroffen«, antwortete Kjartan
mürrisch. »Er gehörte zum Rettungstrupp und war in
den Tagen nach dem Ausbruch auf der Insel, aber ich weiß
nicht mehr genau, ob ich ihn in der Nacht gesehen habe. An den
Jungen kann ich mich nicht erinnern, und auch nicht an Alda. Da war
eine riesige Menschenmenge; ich sehe heute noch die Massen vor mir.
Die Leute haben Dinge mitgeschleppt, die sie für wertvoll
hielten, ein merkwürdiges Sammelsurium. Wirklich wichtige
Dinge sind meistens zurückgeblieben, Fotoalben und
Erinnerungsstücke hat man in der Hektik vergessen und
stattdessen die neue Stehlampe {76 }oder irgendwelchen Plunder
gerettet, der im Nachhinein völlig wertlos war.«
»Du
weißt aber, welche Alda ich meine, oder?« Dóra
fand es merkwürdig, dass er bei dem Namen nicht gestutzt
hatte. Vielleicht kannte er Markús’ Erklärung
bezüglich des Kopfes schon – was ärgerlicherweise
darauf hindeuten würde, dass Markús viel zu
geschwätzig war.
»Es gab
damals nur eine Alda auf der Insel. Sie war genauso alt wie
Markús, und ihr Vater war auch ein Kumpel von uns. Er
hieß þorgeir, ist kürzlich verstorben. Er war auch
bei den Aufräumarbeiten mit dabei, zusammen mit mir und
Markús’ Vater Magnús.«
»Wusstest
du, dass Alda letzte Woche gestorben ist?«
»Ja,
davon hab ich gehört«, antwortete Kjartan. »Ihre
Mutter und ihre Schwester wohnen hier, ich kenne die beiden.
Schreckliche Geschichte – ich verstehe nicht, wie jemand so
einen Ausweg wählen kann. Ihre Mutter ist am Boden
zerstört, verständlicherweise.« Kjartan ließ
seinen Blick über den Hafen schweifen, bevor er weiterredete.
Anscheinend wollte er das Thema wechseln. Wie vielen Männern
seiner Generation schien es ihm schwerzufallen, über
emotionale Dinge zu sprechen. »Also, Markús und Alda
– ich ... Stell dir fünftausend Leute da draußen
vor, es war totales Chaos! Da hatte niemand Zeit, sich um
verängstigte Jugendliche zu
kümmern.«
»Markús
behauptet, mit demselben Boot evakuiert worden zu sein wie Alda.
Sie hätten an Bord miteinander geredet«, erklärte
Dóra. »Lässt sich das beweisen? Mit anderen
Worten, gibt es Aufzeichnungen darüber, wer mit welchem Schiff
gefahren ist?«
Kjartan zuckte
die Achseln. »Das weiß ich ehrlich gesagt nicht. Das
Rote Kreuz hat sich auf dem Festland um die Leute gekümmert
und sie von þorlákshöfn nach Reykjavík
transportiert. Ich glaube, die haben auch registriert, wer bei
Verwandten untergekommen ist. Aber wer mit welchem Schiff ...
–«
»Die
Aufzeichnungen liegen bestimmt im Nationalarchiv«, {77 }sagte
Bella urplötzlich. Sie errötete leicht, als Dóra
und Kjartan sie verwundert anschauten. Sie hatten sie vollkommen
vergessen. »Da würde ich jedenfalls so was
aufbewahren«, fügte Bella hinzu.
»Wir
haben hier auch ein Stadtarchiv«, sagte Kjartan.
»Über der Bücherei. Kann gut sein, dass die solche
Dokumente haben.«
»Wenn
nicht, dann bestimmt im Nationalarchiv, wie du vorgeschlagen hast,
Bella«, sagte Dóra anerkennend. Das war eine gute
Aufgabe für das Mädchen. Bella konnte das Stadtarchiv
nach Markús’ und Aldas Namen durchforsten. Wenn hier
nichts zu finden war, konnte sie später in Reykjavík
weitermachen. Ein solches Dokument würde zwar nicht jeglichen
Verdacht von Markús abwenden, aber seine Version der
Geschichte zumindest bestätigen. Jedes Detail konnte
Markús in seiner jetzigen Lage nur zugutekommen. Dóra
wandte sich wieder an Kjartan. »Die Männer, die
hiergeblieben sind, konnten die sich auf der Insel frei bewegen
oder war das irgendwie organisiert?«
Kjartan
grinste. »In den ersten zwei, drei Tagen konnte von
Organisation keine Rede sein. Die Männer haben nur wie
besessen versucht, ihr eigenes Zeug zu retten. Später sind
Rettungsleute vom Festland dazugekommen, aber ich habe leider keine
Zahlen oder Informationen über Gruppeneinteilungen. Ich
glaube, in Hochzeiten waren drei- bis vierhundert Leute mit den
Rettungsarbeiten beschäftigt.« Kjartan sah Dóra
scharf an. »Wenn du
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