Das Gluehende Grab
Ein kleines Boot schipperte mit ein paar
Möwen im Schlepptau aus dem Hafen. Der Kai lag ruhig da. Zwei
ältere Männer reparierten ein Steuerhaus auf einem
kleinen offenen Motorboot, das direkt vor Dóra und Bella an
der Mole vertäut war. Die Arbeit ging gemächlich voran,
und die Männer verbrachten mehr Zeit damit, die Dinge
ausgiebig zu besprechen, als sie anzupacken. Dóra bewunderte
ihre Gelassenheit. Vielleicht lag es an der wunderschönen
Umgebung des Hafens. Es beruhigte die Nerven, die vielen Vögel
an den steilen Klippen zu beobachten, und Dóra hätte
den ganzen Abend mit einem Drink in der Hand dort sitzen
können.
»Wie
viele Leichen waren es nochmal?«, fragte Bella in die Stille
hinein.
»Im
Keller? Vier. Besser gesagt dreieinviertel. Von einer Leiche war
nur der Kopf da. Hast du das nicht in der Zeitung
gelesen?«
»Nee, so
einen Mist lese ich nicht.« Bella schob die Zigarette in den
anderen Mundwinkel und stieß eine Rauchwolke aus.
Nachdenklich beobachtete sie, wie der Rauch aufstieg, sich
auflöste und verschwand. »Wer bringt denn vier Leute auf
einmal um? Einen verstehe ich ja, vielleicht auch zwei, aber vier
ist einfach zu viel. Kann es sein, dass das gar kein Mord
war?«
Dóra
musste sich eingestehen, dass sie ähnliche Gedanken hatte.
»Ich hab das Ergebnis der Obduktionen noch nicht. Schon
möglich, dass sie an irgendwelchen Unfallfolgen oder an
Vergiftung gestorben sind.« Dóra sog die Meeresluft
ein, die den Zigarettenqualm trotz allem überdeckte.
»Aber das mit dem Kopf lässt sich nicht so leicht
erklären. Falls die Männer nicht umgebracht worden sind
– woher kommt dann der Kopf? Warum trennt jemand einer Leiche
den Kopf ab?«
Bella zuckte
mit den Schultern. »Vielleicht ist das bei einem Unfall
passiert. Das wäre nicht so abwegig.«
»Und wie
kommt der Kopf in die Kiste? Und die Kiste mitsamt drei weiteren
Leichen in Markús’ Keller?«
»Diese
Frau, die deinem Mandanten die Kiste gegeben hat«, sagte
Bella, »kann die die Männer umgebracht
haben?«
»Nein,
kann ich mir nicht vorstellen«, antwortete Dóra.
»Sie war noch ein Teenager und kaum in der Lage, vier
Männer zu töten. Zumindest nicht alleine.«
Dóra lehnte sich an die Hauswand und genoss die milden
Strahlen der Abendsonne. »Ich muss unbedingt ihre Mutter
treffen. Vielleicht weiß die etwas über den Kopf. Nur
blöd, dass Aldas Vater verstorben ist. Ich denke, er
könnte am ehesten in die Sache verwickelt sein.
Unabhängig davon, ob Aldas Familie etwas mit der Sache zu tun
hat, muss sie zumindest etwas darüber wissen. Junge
Mädchen haben zwar alle möglichen Geheimnisse vor ihren
Eltern, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass Alda einfach so
mit einem Kopf in einer Kiste durch den Ort spaziert. Ihre Mutter
wird mir zumindest sagen können, mit wem ihre Tochter nach dem
Vulkanausbruch zu tun hatte. Vielleicht hat sie sich später
einer Freundin oder einem {82 }Freund anvertraut. Markús
hatte ja auf dem Festland erst mal keinen Kontakt mehr zu
ihr.«
»Ihre
Mutter wohnt doch noch hier.« Bella schaute sich um, so als
erwarte sie, die Frau in einem der Schuppen auf der Mole auftauchen
zu sehen. »Das hat der Typ doch eben gesagt. Du solltest sie
anrufen und besuchen.«
»Selbst
wenn sie hier wohnt, glaube ich nicht, dass jetzt der richtige
Zeitpunkt für einen Besuch ist.«
»Aber es
ist doch ein perfekter Zeitpunkt!« Bella schnippte die Kippe
in eine nahestehende Tonne. »Sie ist nach dem Tod ihrer
Tochter bestimmt sehr verletzlich und schüttet dir ihr Herz
aus.«
Dóra
schüttelte den Kopf. »Nein, darauf lasse ich’s
nicht ankommen. Es könnte sie verletzen, und dann wird sie nie
wieder mit mir reden. Ich frage Markús’ Bruder morgen
Abend nach Aldas Familie. Vielleicht kann er mir einen Rat
geben.«
Bella schien
Dóra gar nicht zuzuhören. »Erinnerst du dich an
den Friedhof, an dem wir vorbeigefahren sind?«, fragte sie
unvermittelt. »Der mit dem
Steinbogen?«
»Ja.«
»Vielleicht
stammen die Leichen von dort. Ein Angehöriger könnte doch
versucht haben, sie vor dem Vulkanausbruch in Sicherheit zu
bringen. Der Friedhof wurde von Asche verschüttet und
später wieder freigelegt.«
Dóra
schaute die Sekretärin verblüfft an. »Jemand
gräbt Leichen aus und versteckt sie in einem Keller, der
später ebenso verschüttet wird wie der Friedhof? Kann ich
mir kaum vorstellen.«
Bella zuckte
die Achseln. Dóra wollte den Spekulationen ein Ende setzen.
»Sollen wir mal los? Ich glaube, ich
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