Das Gluehende Grab
gehe früh ins Bett,
damit ich morgen fit bin.«
Bella schaute
auf ihre Uhr und warf Dóra einen enttäuschten Blick zu.
»Soll das ein Witz sein? So früh bin ich mit drei Jahren
ins Bett gegangen!«
Dóra
errötete leicht. »Ich will ja nicht sofort schlafen. Ich
muss noch meine Kinder anrufen und so.«
»Na,
dann mach das. Ich schaue mich jedenfalls noch nach einer Kneipe
um.«
Dóra
hielt das für eine schlechte Idee, wusste jedoch, dass sie
keinen Einfluss auf die Freizeitgestaltung ihrer Angestellten
hatte. »Mach keine Dummheiten«, sagte sie betont
fröhlich, »ich möchte morgen bei dem
Archäologen vorbeischauen, der die Ausgrabungen leitet, und
dann müssen wir noch ins Stadtarchiv. Und wer weiß, wem
wir sonst noch über den Weg laufen. Es gibt genug zu
tun.«
»Mach
dir um mich mal keine Gedanken. Ich komme jedenfalls nicht
ständig zu spät.«
Dóra
ärgerte sich maßlos über diese Bemerkung. Ihre
Sekretärin hatte viele Fehler, aber sie kam immer
pünktlich zur Arbeit. Dóra hingegen kam oft zu
spät, weil sie und die Kinder nicht rechtzeitig aus dem Haus
kamen. Noch schlimmer war es, wenn ihr Enkel und ihre
Schwiegertochter da waren. »Du bist dir ja wohl im Klaren
darüber, dass eine Kneipentour nicht als Arbeitszeit gerechnet
wird«, rief Dóra der Sekretärin hinterher.
»Das geht beim Finanzamt nie im Leben durch.« Als sie
den Satz beendet hatte, bereute sie ihn schon zutiefst. Wie
lächerlich.
Bella drehte
sich nicht um, sondern hob nur die Hand und zeigte Dóra den
gestreckten Mittelfinger.
10
MONTAG
16. JULI 2007
Dóra
war stocksauer, als sich herausstellte, dass Bella vor ihr beim
Frühstück erschienen war. Die Sekretärin saß
schon am Fenster, vor sich einen vollgeladenen Teller mit allem,
was man nur in Maßen zu sich nehmen sollte. Sie machte ein so
selbstgefälliges Gesicht, dass Dóra kurz darüber
nachdachte, sich woanders hinzusetzen. Am Ende schluckte sie ihren
Stolz jedoch hinunter, ging zum Tisch und setzte sich Bella
gegenüber.
»Und?«
Dóra zog die Kaffeekanne zu sich. »War’s noch
nett gestern Abend?« Dóra war sofort auf ihr Zimmer
gegangen und hatte ihre Eltern angerufen, die während ihrer
Abwesenheit das Haus und die Kinder hüteten. Ihr Vater war
ganz in seinem Element und hatte sein Quartier in der Garage
aufgeschlagen, die er schon lange aufräumen wollte,
während ihre Mutter keineswegs begeistert klang. Dóra
musste sich einen halbstündigen Vortrag darüber
anhören, was für eine schlechte Hausfrau sie war.
Anschließend durfte sie mit Sóley sprechen, die ihr
gutgelaunt erzählte, sie trüge riesengroße Socken
von Gylfi, weil die Oma keine passenden für sie gefunden
hätte. Dann kam Gylfi an den Apparat. Er flüsterte in den
Hörer, sie müsse unbedingt nach Hause kommen – die
Oma treibe ihn in den Wahnsinn und Sigga in die Depression.
Dóra versprach das Blaue vom Himmel und verabschiedete sich,
fast schon genauso depressiv wie ihre {85 }Schwiegertochter. Danach
schaltete sie den Fernseher ein und zappte zwischen den Sendern
herum, wie üblich ohne etwas Vernünftiges zu finden. Es
endete damit, dass sie Männern mit Sonnenbrillen beim
Pokerspielen zuschaute und dabei einschlief, ohne begriffen zu
haben, wie das Spiel funktionierte.
»War
voll cool«, sagte Bella und biss herzhaft in ihr
Marmeladenbrot. Die Marmelade war so dick aufgetragen, dass eine
Brotecke unter der Last nachgab und ein dunkelroter Klecks auf
Bellas Kinn landete. Sie wischte ihn mit dem Zeigefinger weg und
lutschte ihren Finger ab. »Hab total coole Leute
kennengelernt.«
»Schön.«
Dóra goss Milch in ihren Kaffee. »Waren sie in deinem
Alter?«
»Ich hab
mir nicht ihre Ausweise zeigen lassen.« Bella griff nach
ihrer Kaffeetasse. Sie fixierte Dóra über den
Tassenrand und hob vielsagend die Augenbrauen. »Ich hatte
einen One-Night-Stand.«
Dóra
verschluckte sich. »Wie bitte?«, hustete
sie.
»Du
weißt schon«, sagte Bella stolz. »War echt nett.
Seemänner kann ich nur empfehlen.«
»Seemänner?
Mehr als einer?« Wie schaffte es dieses Mädchen, sich
einfach so einen – oder mehrere – Liebhaber zu angeln,
während Dóra Schwierigkeiten gehabt hätte, einen
Interessenten im Männerknast zu finden. Obwohl das nicht ganz
stimmte. Meistens war sie selbst weniger euphorisch als die
Männer, die sie kennenlernte. Trotzdem nervte sie die
Sache.
»Nee,
nur einer. Aber gegen zwei hätte ich auch nichts
gehabt.«
Dazu fiel
Dóra nichts
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