Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Gluehende Grab

Das Gluehende Grab

Titel: Das Gluehende Grab Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yrsa Sigurdardottir
Vom Netzwerk:
Martinshorn
durch die Straßen gefahren. Kurz darauf hat man sich dann
für eine Evakuierung entschieden und alle Einwohner
aufgefordert, zum Hafen zu kommen. Die meisten haben sich das nicht
zweimal sagen lassen, und viele waren sowieso schon zum Hafen
gelaufen. Vereinzelt mussten Leute überredet werden, ihre
Häuser zu verlassen.«
    »War
ihnen die Gefahr denn nicht bewusst?«, fragte Dóra.
»Sollte man doch meinen, wenn man mit einem feuerspuckenden
Vulkan im Garten aufwacht.«
    »Es war
mitten in der Nacht, die Leute waren völlig durcheinander.
Manche dachten, ihr Haus würde brennen. Der Erste, der die
Polizei angerufen hat, hat einen Brand gemeldet. Das war der Bauer
auf Kirkjubær – die Vulkanspalte ging quer über
sein Land. Etwa zwei Kilometer lang!« Kjartan schien richtig
stolz darauf zu sein, dass es sich nicht nur um einen
läppischen Vulkanausbruch für die Touristen gehandelt
hatte. »Tja, und andere dachten, der Krieg wäre
ausgebrochen. Es war ja zur Zeit des Kalten Krieges, und der
Kabeljaukrieg war auch in aller Munde. Damals sah hier alles noch
ganz anders aus. Der Berg Eldfell ist erst während des
Ausbruchs entstanden. Da war flaches Land, und plötzlich
brachen Feuersäulen aus der Erde. Aus der Ferne hat es wie
brennende Gebäude oder wie ein Lauffeuer ausgesehen.«
Kjartan lächelte. »Natürlich reagieren die Menschen
ganz unterschiedlich auf solche Katastrophen. Ich musste eine Frau
überreden, ihr Haus, das sehr nah bei der Ausbruchstelle
stand, zu verlassen. Sie war aufgestanden und hatte angefangen,
Pfannkuchen zu backen.«
    Dóra
schmunzelte. Bella saß reglos da und hatte noch kein {74
}Wort gesagt. Dóra war sich nicht sicher, ob das ein gutes
oder schlechtes Zeichen war. Entweder hörte das Mädchen
hochinteressiert zu oder war mit den Gedanken ganz woanders.
»Aber am Ende wurden alle evakuiert, Kjartan?«
    »Ja, es
hat geklappt. Alle sind innerhalb von einer Stunde geweckt und zum
Hafen geschickt worden. Und kurz nach Beginn des Ausbruchs sind
glühende Lavabrocken über den Ort geregnet. Da wurde es
wirklich gefährlich.« Kjartan lehnte sich zurück.
»Für uns Rettungsleute war es ein Wettlauf gegen die
Zeit. Es sah so aus, als würde der Lavastrom das Hafenbecken
einschließen. Und dann wäre guter Rat teuer gewesen
– wir mussten ja an die fünftausend Leute evakuieren.
Ganz zu schweigen von Schafen und
Hühnern.«
    »Schafe
und Hühner? Habt ihr die Tiere auch aufs Festland gebracht?
Und was war mit Hunden und Katzen?« Daran hatte Dóra
noch gar nicht gedacht. Natürlich hatte es noch mehr Lebewesen
auf der Insel gegeben als Menschen.
    »Hunde
waren damals verboten, und die meisten Katzen sind
zurückgeblieben. Sie sind im Laufe des Ausbruchs gestorben,
vor allem an giftigen Dämpfen. Die Schafe sind sofort von
Hubschraubern der amerikanischen Truppen geholt worden, und das
Federvieh haben wir mit auf die Schiffe genommen.« Kjartan
verstummte plötzlich. »Ich hab zwar mein eigenes Haus
unter der Lava verschwinden sehen, aber das Schlimmste war, als die
Kühe von Kirkjubær zum Schlachten in den Hafen gebracht
wurden. Das war schrecklich. Der Hof ist als Erstes verschluckt
worden, und der Bauer war schon so alt, dass er nicht nochmal von
vorne hätte anfangen können. Wir hatten keine andere
Wahl, aber es war erschütternd – ich glaube, die
Kühe haben gewusst, dass der Weg zum Hafen ihr letzter
war.« Er räusperte sich. »Der Bauer ist mit einem
kleinen Flugzeug ausgeflogen worden. Alles, was er besaß,
hatte er in einer Kiste auf dem
Schoß.«
    Dóra
verdrängte dieses Bild – Markús’ Kiste
machte ihr schon genug zu schaffen. »Es haben also alle den
Ort verlassen?«
    »Etwa
zwei- bis dreihundert Männer sind zurückgeblieben, um zu
retten, was noch zu retten war. Alle anderen – samt Frauen
und Kindern natürlich – wurden evakuiert. Es war eine
Gnade Gottes, dass die gesamte Fischereiflotte im Hafen lag. Wenn
die Boote zum Fischen rausgefahren wären, wäre es niemals
so gut ausgegangen, kann ich euch sagen.« Kjartan schaute
eine Weile aus dem Fenster über den Hafen, bevor er sich
wieder an die Frauen wandte. »Die Leute sind in die Schiffe
gepfercht worden, und viele waren seekrank. Ziemlich unangenehm,
der hohe Seegang und der Fischgestank, wenn man nicht daran
gewöhnt ist. Und unausgeschlafen ist und unter Schock
steht.«
    Bella
hörte offenbar doch zu, immerhin verzog sie das Gesicht.
»Waren noch andere Boote im Hafen?«, fragte
Dóra.

Weitere Kostenlose Bücher