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Das Gluehende Grab

Das Gluehende Grab

Titel: Das Gluehende Grab Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yrsa Sigurdardottir
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einer Notaufnahme?«
    »Nein,
ich war früher ein paar Mal mit meinen Kindern hier.
Allerdings immer tagsüber.«
    »Das ist
nicht vergleichbar«, sagte Bjargey. »Alda hatte die
schwierigsten Schichten, wenn fast nur besoffene, kotzende Typen
hier ankommen, die sich selbst oder jemand anderen verletzt haben.
Prügeleien oder Messerstechereien. Versuch mal, dir
vorzustellen, wie es ist, mit solchen Leuten zu arbeiten.
Betrunkene sind äußerst ungeduldig, und wenn viele
warten müssen, ist die Atmosphäre im Wartezimmer nicht
ungefährlich, mal ganz abgesehen von dem Geschwafel und
Gegröle, das man sich die ganze Zeit anhören muss. Da hat
man keine Zeit für vertrauliche Gespräche unter
Kollegen.«
    »Oh.«
Dóra war vollkommen klar, dass ein Arbeitsplatz voller
Säufer nicht gerade ideal war. Sie hatte im Laufe der Jahre
schon viele solcher Geschichten von Hannes gehört. »Alda
muss sehr tüchtig gewesen sein. Hatte sie eine bestimmte
Aufgabe?«
    Schon wieder
schaute Bjargey sie so an, als sei sie begriffsstutzig. »Alda
hat alles gemacht, was gerade angefallen ist. Sie war eine
hervorragende Krankenschwester und durch ihre langjährige
Erfahrung in der plastischen Chirurgie sehr geschickt. Die
Ärzte haben sich gerne von ihr beim Nähen und so weiter
assistieren lassen. Außerdem war sie besonnen und
vernünftig und konnte {152 }gut mit Menschen, die unter Schock
stehen, umgehen. Besonders mit Frauen.« Bjargey schaute auf
ihre Armbanduhr.
    »Aldas
Schwester hat mir erzählt, dass Alda mit Vergewaltigungen zu
tun hatte und in solchen Fällen vor Gericht ausgesagt hat.
Stimmt das?«
    Zum ersten Mal
zögerte Bjargey, antwortete dann aber: »Abends und an
den Wochenenden werden die meisten Gewaltverbrechen verübt.
Aufgrund ihrer umsichtigen, beruhigenden Art hat Alda oft weibliche
Gewaltopfer untersucht und betreut. Wenn sich ein
Vertrauensverhältnis zwischen den Frauen und ihr entwickelt
hat, hat sie auch die Nachsorge übernommen. Für diese
Frauen ist es am besten, wenn sie nicht mit zu vielen verschiedenen
Personen über die Tat sprechen
müssen.«
    »Selbstverständlich.
Wie hat eine solche Nachsorge ausgesehen?«
    »Sehr
unterschiedlich. Viele Frauen schaffen es nicht,
regelmäßig in die Sprechstunden zu kommen, da sie nach
der Tat eine seelische Krise durchmachen. In den schlimmsten
Fällen halten wir telefonisch Kontakt. Alda war eine der
wenigen, die den Frauen ihre Privatnummer gegeben hat. Sie hat sie
telefonisch beraten und unterstützt.« Hastig fügte
Bjargey hinzu: »Natürlich ist sie dafür bezahlt
worden und hat jedes Telefonat protokolliert.« Bjargey
schaute wieder auf die Uhr. »War’s das
dann?«
    »Nur
noch eine Frage. Hat Alda mal den Vulkanausbruch auf den
Westmännerinseln erwähnt?«
    Bjargey machte
ein nachdenkliches Gesicht. »Nein, nicht dass ich
wüsste. Wir haben letztes Jahr am Handelsfeiertag zusammen
gearbeitet, da hat sie mir erzählt, dass sie von den
Westmännerinseln stammt. An dem langen Wochenende ist es in
Reykjavík viel ruhiger als sonst. Wir hatten ausnahmsweise
eine entspannte Schicht und konnten ein bisschen
quatschen.«
    »Weißt
du noch, worüber ihr sonst gesprochen habt?«, fragte
Dóra vorsichtig. Sie war sich sicher, dass die Frau das
Gespräch sofort beenden würde, wenn sie den abgetrennten
Kopf erwähnte. {153 }»Hat sie erzählt, warum sie
nie wieder auf die Insel zurückgekehrt ist?«
    Bjargey
schüttelte den Kopf. »Nein, ich glaube nicht. Sie hat
nur erzählt, wie die Einheimischen das Fest feiern. Mit
weißen Zelten und so. Aber sie hat nicht erwähnt, ob sie
oft dort ist.« Bjargey wollte schon aufstehen, fügte
aber noch hinzu: »Ich hab sie gefragt, ob sie nicht hinfahren
will. Ich hätte eine Vertretung für sie suchen
können.«
    »Und?
Was hat sie gesagt?« 
    Bjargey
runzelte die Stirn. »Ich fand ihre Antwort irgendwie
merkwürdig. Sie hat gesagt, sie würde nicht hinfahren,
weil man dort leicht seinen Kopf verlieren könnte. Dann hat
sie sich kaputtgelacht, so als wäre das ein ganz toller
Witz.« Bjargey stand auf. »Ich hab nicht verstanden,
was daran so lustig sein sollte.«
    Stefán
nervte das Lied im Radio, und er schaltete das Gerät aus. Er
saß im Büro, obwohl er schon längst auf dem
Nachhauseweg sein sollte. Schon wieder ein Tag, an dem er nicht
pünktlich raus kam. Er stöhnte. Wo waren die Leute mit
ihren ganzen Problemen eigentlich zwischen neun und fünf?
Heute hatte beispielsweise der Rechtsmediziner um Punkt fünf
Uhr

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