Das Gluehende Grab
Wind, und aus ihrer Kaffeetasse stieg
Dampf auf. Markús wurde in der Zeitungsmeldung über die
Festnahme Gott sei Dank milde behandelt. Kein Wunder, denn der
Richter war hin und her gerissen gewesen. Zeitweise hatte
Dóra sogar gedacht, er würde die Forderung der Anklage
ablehnen. Stattdessen hatte er, womöglich aufgrund von
Dóras Protest, die Untersuchungshaft von drei Wochen auf
fünf Tage verkürzt. Zum ersten Mal in ihrem Leben hatte
Dóra Lust auf eine Zigarette bekommen. Wahrscheinlich hatte
das Passivrauchen mit Bella seine Spuren hinterlassen. Das
abschließende Urteil über die U-Haft sollte am
Nachmittag vom Höchsten Gericht verkündet werden.
Markús
hatte verständlicherweise Berufung eingelegt. Am Ende
würden von den fünf Tagen wohl nur noch drei übrig
bleiben, aber Dóra konnte es ihrem Mandanten nicht
verdenken. Niemand wollte unschuldig hinter Schloss und Riegel
sitzen. Sie schaute auf die Uhr. Es war noch nicht einmal acht.
Wenn sie innerhalb der nächsten Stunde aus dem Haus käme,
hätte sie sogar noch Zeit, etwas {167 }ausfindig zu machen,
das das Urteil widerlegen könnte. Allerdings hatte sie keine
Ahnung, was das sein könnte. Der Hauptgrund für die
Zweifel des Gerichts an Markús’ Schuld war Aldas
Tagebuch von 1973. Dóra hatte der Polizei das Büchlein
unmittelbar nach dem Verhör übergeben. Stefán
hatte sich übermäßig aufgeregt und behauptet, sie
unterschlage Beweismittel. Dóra hatte vergeblich versucht,
ihre Position darzulegen. Als die Anklage versuchte, die
Aussagekraft des Tagebuchs abzuwerten, hatte der Richter
Dóras Partei ergriffen. Ein weiterer Etappensieg war, dass
der Richter sich ausgiebig nach den Indizien erkundigt hatte, die
darauf schließen ließen, dass die drei Leichen erst
nach dem Vulkanausbruch in den Keller gebracht worden waren.
Beim Mord an
Alda sah die Sache leider anders aus, und Markús hatte einen
schlechten Stand. Der Zeuge und die Indizien ließen darauf
schließen, dass er am Tatort gewesen war. Besagter Zeuge
entpuppte sich als ein Junge, der am Tatabend Flugblätter
verteilt hatte. Die Polizei hatte den Flyer gefunden und den Jungen
ausfindig gemacht, nach dessen Aussage gegen halb acht ein Mann zum
Haus gegangen war. Die Beschreibung passte auf Markús;
außerdem hatte der Junge ein Foto von ihm aus einer
größeren Auswahl herausgepickt. Der Junge sagte aus, der
Mann sei auf das Haus zugegangen, er habe ihn aber nicht aus einem
Auto steigen sehen und könne sich auch nicht an ein parkendes
Auto in der Straße erinnern. Dóra gab zu bedenken,
dass Markús’ Wagen einem normalen Jugendlichen
bestimmt aufgefallen wäre, aber es hieß, Markús
hätte mit Leichtigkeit woanders parken können. Ebenso
wenig wurde Dóras Einwurf berücksichtigt, Markús
sehe vollkommen durchschnittlich aus, und die Beschreibung des
Jungen könne auf eine Vielzahl anderer Männer zutreffen.
Dóra würde die Fotos, die dem Jungen vorgelegt worden
waren, sowie eine Liste der Telefonate von Markús’ und
Aldas Apparaten später zu sehen bekommen. Hoffentlich belegte
die Liste, dass Alda Markús auf seinem Weg ins Sommerhaus
angerufen hatte. Das würde seine Position erheblich
stärken.
Noch
schwieriger war es, eine Erklärung für
Markús’ DNA-Spuren an Aldas Leiche zu finden. Es
handelte sich um ein Haar, das beim Auskämmen von Aldas
Schamhaaren entdeckt wurde. Laut Obduktion hatte jedoch kein
Geschlechtsverkehr stattgefunden, und man fand auch keinen Speichel
von Markús an Aldas Geschlechtsorganen. Markús konnte
nicht erklären, was sein Kopf zwischen Aldas Beinen zu suchen
gehabt hatte. Er behauptete steif und fest, nicht bei ihr gewesen
zu sein, geschweige denn seinen Kopf in ihren Schoß gelegt zu
haben.
Markús
hatte die Entscheidung des Gerichts sehr gefasst aufgenommen.
Obwohl er nicht damit einverstanden war, wusste er, dass er es
schlucken und auf das Urteil des Obersten Gerichtshofs warten
musste. Dóra hatte seine Gelassenheit gelobt und ihm
angeboten, seine Familie zu informieren – darunter
Markús’ einzigen Sohn Hjalti, der bei seiner Ex-Frau
lebte, wenn er nicht gerade bei seinem Onkel Leifur auf den
Westmännerinseln war. Dieses Telefonat war Dóra nicht
leichtgefallen. Hjalti war mit seinen neunzehn Jahren nicht viel
älter als ihr Sohn Gylfi und ziemlich eingeschüchtert von
der Neuigkeit. Mehrmals fragte er, ob sein Vater jetzt ins
Gefängnis komme, und Dóra konnte ihn kaum beruhigen.
Aus Mitleid bot sie dem armen Jungen
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