Das Gluehende Grab
Feinde
hatte.«
Dís
musste nicht lange nachdenken. »Ich habe erst heute Morgen
erfahren, dass es sich um Mord handelt. Ich habe Alda ja gefunden,
und da sah es aus wie Selbstmord. Ich war sehr überrascht, als
ich das heute Morgen gelesen habe. Ich weiß gar nicht, {171
}was in der Zwischenzeit passiert ist. Niemand hat uns in
irgendeiner Form über den Stand der Dinge informiert.«
»Uns?
Wen meinst du damit?«
»Mich
und Ágúst, meinen Kompagnon. Er ist auch plastischer
Chirurg. Alda war bei uns angestellt.«
»Verstehe.
Und als du heute Morgen gelesen hast, dass es Mord war – ist
dir da jemand eingefallen, der als Täter in Frage kommen
könnte?«
Dís
errötete leicht und murmelte, das würde sie niemandem
zutrauen. »Ein Einbrecher
vielleicht?«
»Tja,
ich weiß nicht«, entgegnete Dóra. »Hatte
Alda wertvolle Dinge im Haus?«
»Nein,
nicht direkt. Aber dieses dreiste Pack ist doch bestimmt nicht
wählerisch. Alda hatte natürlich alles, was man eben so
hat – Fernseher, Stereoanlage, etwas Schmuck natürlich.
Das ist zwar alles nicht sehr wertvoll, aber ich denke, Diebe
stellen da nicht so hohe Ansprüche.«
»Das
stimmt«, sagte Dóra. »Aber sie bringen
normalerweise niemanden um und lassen es dann wie Selbstmord
aussehen.«
»Nein,
das ist mir auch klar. Ich kann mir nur einfach nicht vorstellen,
dass Alda Feinde hatte.«
»Wurde
sie nie von irgendwelchen Ex-Männern oder Ex-Liebhabern
belästigt?«
»Nein«,
antwortete Dís, »nicht, dass ich wüsste. Sie war
zwar geschieden, aber ich glaube, die Scheidung ist
einigermaßen glimpflich vonstatten gegangen. Sie hatte keinen
Kontakt mehr zu ihrem Ex-Mann. Und falls sie einen Liebhaber hatte,
dann hat niemand etwas davon gewusst. Sie hat nie mit mir über
Männer gesprochen.«
Dóra
fand es seltsam, dass die Frau keine Beziehungen gehabt hatte. Bei
der Obduktion waren ein vergrößerter Busen, ein
Facelifting, Botox in der Stirn sowie Narben von einer
Tränensackentfernung und einer Fettabsaugung ans Licht
gekommen. Warum tat man sich das alles an, wenn nicht für
einen Mann? »Vielleicht {172 }hatte sie irgendwelche
Affären, über die sie nicht geredet hat?«
»Tja«,
Dís errötete wieder, »das kann schon sein. Alda
war zwar freundlich und zuvorkommend, aber nicht sehr
offen.«
»Hat sie
dir gegenüber mal erwähnt, warum sie nie zu den
Westmännerinseln gefahren ist? Von einem traumatischen
Erlebnis damals bei dem Vulkanausbruch
erzählt?«
»Nein,
darüber hat sie nie gesprochen.« Dís schaute
Dóra fragend an. »Welches Erlebnis meinst du
denn?«
Dóra
lächelte nur. »Botox«, sagte sie unvermittelt und
beobachtete Dís’ Reaktion. Die Ärztin lehnte sich
im Stuhl zurück, sagte eine Weile gar nichts und hielt
Dóras Blick stand. »Was soll das heißen, Botox?
Möchtest du dich spritzen lassen?« Sie nahm einen Stift.
»Dann solltest du dir lieber einen Termin geben
lassen.«
Dóra
musste so sehr lachen, dass alle vorhandenen Falten voll zur
Geltung kamen. »Nein, nein. Jedenfalls nicht im Moment. Die
Giftanalyse der Rechtsmedizin hat ergeben, dass Alda wahrscheinlich
durch Botox gestorben ist.«
»Was?«
Dís’ Überraschung wirkte nicht sehr
überzeugend. »Wie soll das denn gehen? Botox ist nicht
lebensgefährlich.«
»Nicht
im Gesicht«, entgegnete Dóra. »Ich kann nur
wiedergeben, was im Obduktionsbericht steht. Das Botox wurde auf
ziemlich ungewöhnliche Weise eingesetzt.« Die
Ärztin musste sich fast auf die Zunge beißen, um nicht
genauer nachzufragen. »Ist es denkbar, dass Alda Botox im
Haus hatte?«, fragte Dóra.
»Alda?
Nein. Sie hatte natürlich in der Praxis Zugang dazu, aber wir
kontrollieren das Lager sehr sorgfältig. Ausgeschlossen, dass
sie von hier Medikamente mitgenommen hat. Wir arbeiten immer sehr
gewissenhaft und hätten ihr niemals Medikamente zur
Eigenbehandlung mitgegeben. Ich weiß nicht, wo sie sonst
daran gekommen sein könnte. Bestimmt nicht in der
Notaufnahme.«
»Woher
stammt das Botox für die Praxis?«
»Wir
bestellen es über eine Apotheke«, antwortete Dís.
»Da bekommen wir gute Konditionen, deshalb brauchen wir nicht
mit einem Großhändler zusammenzuarbeiten. Natürlich
kaufen wir dort auch andere Medikamente.«
»Wer
kümmert sich um die Bestellungen bei der Apotheke?«,
fragte Dóra.
Dís
fixierte sie. »Ich. Manchmal auch Ágúst.«
Sie kniff den Mund zusammen. »Alda hatte nichts damit zu
tun.«
»Wenn
Alda kein Botox im Haus hatte, dann muss der Mörder
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