Das Gluehende Grab
»Glaubst du,
dass Valgerður und Daði irgendwas mit den Leichen in eurem
Keller zu tun haben könnten?«
»Das
weiß ich nicht«, antwortete die Frau, immer noch
verstimmt. »Ich habe schon der Polizei gesagt, dass ich keine
Ahnung habe, wie das passieren konnte, und ich sage es noch einmal:
Ich habe überhaupt nichts damit zu
schaffen.«
Dóra
registrierte, dass sie »ich« sagte, nicht
»wir«. Das war ihr auch schon bei dem Polizeibericht
aufgefallen, den Guðni verfasst hatte. Klara waren nur ein paar
Fragen gestellt worden, die sie so kurz wie möglich
beantwortet hatte. Stefán und sein Team würden bei
einer weiteren Vernehmung bestimmt nicht so rücksichtsvoll
sein. »Hatten die beiden irgendwelchen Kontakt zu
Ausländern?«, fragte Dóra
hoffnungsvoll.
»Ja,
Valgerður hat ja im Krankenhaus gearbeitet und zwei Nachmittage
in der Woche als Schulkrankenschwester. In der Schule gab es keine
ausländischen Lehrer, aber im Krankenhaus lagen natürlich
ab und zu verletzte Seeleute. Aber sie wird kaum mehr mit denen zu
tun gehabt haben, als dass sie ihre Wunden verbunden hat. Daði
hat bei einer kleineren Reederei gearbeitet. Soweit ich weiß,
waren da nur Isländer beschäftigt. Aber diese Fragen
solltest du vielleicht lieber ihrem Sohn stellen, der kann dir
bestimmt mehr darüber erzählen als
ich.«
»Daði
lebt also auch nicht mehr?«, fragte Dóra. »Ich
weiß nur, dass Valgerður vor nicht allzu langer Zeit
gestorben ist.«
»Ich
glaube, Daði ist vor zwei Jahren an Leberzirrhose
gestorben«, antwortete Klara schroff. »Ihr Sohn
müsste noch am Leben sein.«
»Weißt
du, wie er heißt?«
»Nein.
Das habe ich vergessen.«
Dóra
nickte. Vielleicht wurde Bella im Stadtarchiv fündig. {205
}Klara war inzwischen etwas gesprächiger geworden, sodass es
an der Zeit war, einen Gang höherzuschalten.
»Mal was
anderes, an dem Freitagabend, dem 19. Januar 1973, also an dem
Wochenende vor dem Vulkanausbruch, war hier im Ort ein Schulfest,
das außer Kontrolle geriet. Markús ist von seinem
Vater abgeholt worden. Er und seine Klassenkameraden waren ziemlich
betrunken.« Dóra fixierte die Frau. »Erinnerst
du dich an diesen Abend?«
Klara machte
ein Gesicht, als habe Dóra sie darum gebeten, den Korb mit
der dreckigen Wäsche durchwühlen zu dürfen.
»Ja, dunkel«, antwortete sie. Sie konnte sich mit
Sicherheit genau an den Abend erinnern. »Es handelte sich um
den gesamten Jahrgang, wenn ich mich recht erinnere. Markús
hat, im Gegensatz zu den anderen Jugendlichen, sonst nie getrunken.
Deshalb waren wir ziemlich schockiert.«
»Es geht
mir nicht um den Alkohol, sondern darum, ob du dich sonst noch an
etwas erinnerst. Weißt du noch, ob dein Mann nochmal
rausgegangen ist, nachdem er Markús zu Hause abgeliefert
hatte? Vielleicht später in der Nacht? War er womöglich
am Hafen?«
Klara wurde
blass. »Magnús ist nicht mehr weggegangen. Er ist mit
dem Jungen nach Hause gekommen und hiergeblieben.« Sie
fingerte an den beiden massiven Goldringen an ihrer linken Hand
herum und wich Dóras Blick aus. »Magnús hat
sich normalerweise nicht mitten in der Nacht irgendwo rumgetrieben
und war ganz bestimmt nicht in der Stimmung dazu, nachdem er den
Zustand seines Sohnes gesehen hatte.«
Dóra
glaubte ihr kein Wort. Die alte Dame wirkte zum ersten Mal
flatterig und war keine gute Schauspielerin. Sie konnte genauso
schlecht lügen wie ihr Sohn, wenn er unter Druck geriet.
»Und du, Leifur?«, fragte Dóra. »Erinnerst
du dich an diese Nacht? Vielleicht ist Magnús nochmal
rausgegangen, als ihr schon geschlafen
habt.«
Leifur
schüttelte den Kopf. »Ich war an dem Wochenende in {206
}Reykjavík. Die Schule hatte nach den Weihnachtsferien
wieder angefangen. Ich war im dritten Jahr auf dem Gymnasium und
hab in der Stadt gewohnt.«
»Und als
der Vulkan ausgebrochen ist, warst du hier? Das war doch mitten in
der Woche.«
Leifur
lächelte sie aufrichtig an. Seine Mutter dagegen sah so aus,
als habe sie langsam genug von Dóras Fragen. »Die
Sache mit Markús und dem Saufgelage hat die Familie ziemlich
aufgewühlt«, meinte Leifur. »Mutter war
enttäuscht und Vater stinksauer. Ich bin nach Hause gekommen,
um die beiden zu beruhigen und Markús die Leviten zu lesen.
An dem Montag hatten wir sowieso schulfrei. Ich wollte dienstags
wieder in die Stadt, hab aber natürlich nicht damit gerechnet,
dass wir mitten in der Nacht evakuiert werden
müssen.«
»Ist das
Sigríður?«, sagte der alte Mann plötzlich.
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