Das Gluehende Grab
Geheimnis, dass Valgerður und
Daði sehr unangenehme Menschen waren. Sie war eine
Klatschtante, die sich am Unglück anderer ergötzt hat.
Vielleicht wollte sie damit ihr eigenes trauriges Dasein
aufheitern.«
»Was war
daran so traurig? Soweit ich weiß, war sie Krankenschwester,
und er ist zur See gefahren. Das war doch für damalige Zeiten
nicht schlecht.«
»Es
hatte nichts mit Arbeit oder Geld zu tun«, erklärte die
alte Frau. »Sie haben sich kennengelernt, als Valgerður
als frischgebackene Krankenschwester hier ans Krankenhaus gekommen
ist. Nach der Hochzeit musste sie dann feststellen, dass Daði
die Flasche mehr geliebt hat als sie. Es war eine lieblose,
schwierige Ehe. Am Anfang waren sie auch nicht unglücklicher
als andere, aber dann ist es immer schlimmer geworden. Man konnte
alles hören. Unser Schlafzimmerfenster ging in ihre Richtung.
Anfangs hab ich sie sogar bemitleidet.«
»Und
dann?«
»Dann
hat sie mein Vertrauen auf unverzeihliche Weise missbraucht.«
Klara kniff die Lippen zusammen.
»Kannst
du das genauer erklären? Ich frage nicht aus Neugier –
ich muss wissen, worüber auf der Straße geredet wurde,
wenn ich Markús helfen soll. Ich bin mir ziemlich sicher,
dass derjenige, der die Leichen versteckt hat, von hier
stammt.«
Klara musterte
Dóra schweigend. Dann atmete sie leise seufzend aus.
»Ich weiß nicht, warum diese alte Geschichte heute noch
wichtig sein soll.« Sie räusperte sich. »Aber
warum sollte ich sie dir verheimlichen?« Sie setzte sich auf.
»Nachdem ich mir ein halbes Jahr lang Daðis Geschrei und
Valgerðurs Weinen anhören musste, habe ich beschlossen,
sie darauf anzusprechen und sie zu trösten – sie war
doch so alleine. Ihre Verwandtschaft wohnte in Reykjavík,
und damals hatte man noch kein Telefon. Ich hab ihr im Vertrauen
erzählt, dass sie nicht die Einzige ist, die einen herrischen,
trunksüchtigen Ehemann hat. Bei weitem nicht die Einzige. Ich
hab ihr angeboten, dass sie jederzeit zu mir kommen könnte,
wenn sie Hilfe bräuchte.« Klara rümpfte die Nase.
»Ihr Dank bestand darin, dass sie bei jedem, der es
hören wollte, die Namen der betreffenden Männer
ausposaunt hat. Es hat Monate gedauert, bis mir die Ehefrauen
wieder vertraut haben.«
»Vielleicht
hat sie das nur getan, weil sie unbedingt Freundinnen haben
wollte.« Dóra versuchte, sich in die Lage einer
Zugezogenen in der kleinen Gemeinschaft
hineinzuversetzen.
»Das ist
gut möglich«, sagte Klara grimmig, »aber trotzdem
...« Sie legte sorgfältig ihre Hände in den
Schoß, wie um ihre Sittsamkeit zu
unterstreichen.
»Haben
die beiden ein Kind verloren?«
»Nein«,
antwortete Klara. »Sie waren kinderlos. Sie haben es
versucht, aber es hat nicht geklappt. Valgerður hatte
mindestens zwei Fehlgeburten, was sie noch mehr verbittert hat.
Damals gab es ja noch nicht diese ganzen Psychologen, denen die
Leute heutzutage die Ohren volljammern können. Valgerður
hatte eine diebische Freude daran, wenn andere Leute Probleme mit
ihren Kindern hatten. Sie hat genüsslich über die Kinder
aus dem Viertel hergezogen – meine Jungs, die sehr
übermütig waren, hat sie dabei auch nicht
verschont.«
»In
ihrem Haus gibt es ein Kinderzimmer.« Dóra hoffte,
dass niemand fragen würde, woher sie das wusste. »Hatten
die Leute, die vorher dort gewohnt haben, vielleicht
Kinder?«
»Valgerður
und Daði haben das Haus gebaut. Vor ihnen hat niemand dort
gewohnt. Das Viertel war ganz neu, einige Häuser waren noch
nicht mal ganz fertig, als die Leute eingezogen sind. Ich war nur
ganz selten bei ihnen, eigentlich nur, wenn ich musste.« Sie
bewegte ihre Schultern, so als ob sie Schmerzen hätte.
»Dieses Kinderzimmer habe ich nie gesehen, aber es kann schon
sein, dass sie es eingerichtet haben. Soweit ich weiß, haben
sie nach dem Vulkanausbruch einen Sohn bekommen. Vielleicht war sie
schon schwanger und hat es wegen ihrer schlechten Erfahrungen
niemandem erzählt. Allerdings verstehe ich nicht, warum sie
unbedingt ein Kind wollten. Eine Bekannte hat mir erzählt,
dass in den Westfjorden darüber geredet wurde, dass sich
Valgerður kaum um das Baby gekümmert
hat.«
»Hattest
du später noch Kontakt zu ihnen?«
»Nein«,
sagte Klara empört. »Warum denn? Ich hab dir doch {204
}erzählt, dass mir die beiden unsympathisch waren. Viele
anständige Familien sind nicht wieder hierher
zurückgekommen. Ich hatte genug damit zu tun, mit denen
Kontakt zu halten.«
»Ich
verstehe«, sagte Dóra höflich.
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