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Das Gluehende Grab

Das Gluehende Grab

Titel: Das Gluehende Grab Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yrsa Sigurdardottir
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Er
schaute nicht mehr aus dem Fenster, sondern starrte Dóra
verwirrt an.
    »Nein,
Papa«, entgegnete Leifur sanft. »Die Frau heißt
Dóra. Sigríður lebt nicht mehr.« Er nahm
die Hand seines Vaters. »Du hast so kalte Hände. Willst
du noch eine Decke?« Leifur erwartete keine Antwort, denn der
alte Mann schien schon wieder mit seinen Gedanken ganz woanders zu
sein. Leifur blickte zu Dóra. »Sigríður ist
seine Schwester. Vielleicht findet er, dass du ihr ähnlich
siehst.«   
 
    Dóra
lächelte Vater und Sohn an. »Guten Tag,
Magnús«, sagte sie ungewöhnlich laut, obwohl sie
sich vorgenommen hatte, ganz normal mit dem alten Mann zu reden.
»Ich heiße Dóra und bin Anwältin.«
Magnús starrte sie unverwandt an und runzelte die Stirn.
»Ich helfe deinem Sohn. Im Keller eures Hauses im
Suðurvegur sind Leichen gefunden worden, und die Polizei
glaubt, dass Markús in die Sache verwickelt
ist.«
    »Sigríður?«,
wiederholte der Alte, »im Keller?« Dóras Worte
drangen zwar zu ihm, aber ob er ihre Bedeutung verstanden hatte,
war fraglich. Der Mann verstummte und drehte seinen Kopf wieder zum
Fenster.
    »Es
bringt nichts, ihn zu drängen«, sagte Klara mit milderer
Stimme. »Er redet manchmal, aber das hat nur wenig mit den
Geschehnissen um ihn herum zu tun. Bei den wenigen Gesprächen,
die wir noch führen, muss man sich ganz nach ihm richten. Man
kann sie nicht steuern.« Ihr Blick wanderte von ihrem Mann zu
Dóra. »Es wäre mir lieb, wenn du ihn nicht weiter
bedrängst.«
    Dóra
versprach es. Sie hatte gehofft, dass der Mann in einem besseren
Zustand wäre, obwohl seine Familie ihr erklärt hatte,
dass er geistig verwirrt war. »Klara«, sagte
Dóra behutsam, »glaubst du, dass dein Mann etwas mit
der Sache zu tun hat? Jeder kann in Situationen geraten, in denen
er keinen anderen Ausweg mehr sieht. Niemand weiß, was
wirklich geschehen ist. Es könnte eine logische Erklärung
für die brutale Vorgehensweise geben, auch wenn sie nach so
langer Zeit schwer nachvollziehbar ist.«
    Die alte Dame
lehnte sich zurück, so als wolle sie Dóra nicht zu nahe
sein. Der Parfümgeruch verflog ein wenig. »Ich habe
gehört, dass die Männer zusammengeschlagen wurden. Mein
Mann war hart im Nehmen und starrsinnig, aber er war nicht
gewalttätig. Er hätte niemals jemanden umbringen
können.«
    »War er
als junger Mann nie in irgendwelche Schlägereien
verwickelt?«
    »Schlägereien!«,
sagte Klara verächtlich. »Er war ...« Sie warf
ihrem Mann einen Blick zu und berichtigte sich: »Er ist ein
Mann. Natürlich hat er sich früher mal geprügelt,
aber das hat aufgehört, als die Kinder da
waren.«
    »Hat es
nie Ärger gegeben, wenn er mal was getrunken hatte?«
Dóra dachte an Markús’ Worte, dass sein Vater
nicht gut mit Alkohol umgehen konnte. Sie wusste, dass in
Seemannskreisen damals heftig gezecht wurde. In ihrer Familie
mütterlicherseits gab es viele so genannte Helden des Meeres.
Auf hoher See wurde wochenlang geschuftet und beim Landgang dann
kräftig gefeiert.
    »Magnús
ist nicht aggressiv geworden, wenn er etwas getrunken hatte, falls
das deine Frage ist«, antwortete Klara unwirsch. {208
}»Und er hatte auch kein Alkoholproblem wie viele seiner
Kameraden. Das ist sicher auch der Grund, warum er erfolgreicher
war als sie und eine Firma aufgebaut hat, die heute eine der
größten auf den Westmännerinseln ist.«
    »Natürlich
war er auch sehr fleißig«, warf Leifur ein. »Es
wurde viel darüber geredet, wie zäh er als junger Mann
war. Er hat sich das alles selbst erarbeitet.« Leifur legte
seinem Vater die Hand auf die Schulter. »Er hat sich nicht
ins gemachte Nest gesetzt wie so viele Leute
heutzutage.«
    Dóra
hätte Leifur fast daran erinnert, dass er ebenfalls zu diesen
Leuten zählte – er hatte schließlich die Firma
seines Vaters übernommen. »Vielleicht ist er in die
Sache hineingezogen worden, weil er jemandem helfen wollte? Aldas
Vater þorgeir zum Beispiel?«
    »Sigríður?«,
sagte Magnús unvermittelt, und Dóras Frage ging ins
Leere. »Kennst du þorgeirs kleine
Alda?«
    »Ja.«
Dóra fürchtete, dass sich der alte Mann wieder
verschließen würde, wenn sie
verneinte.
    »Wie
geht es ihr?« Er nestelte am Saum der Fleecedecke herum.
»Es war schrecklich.«
    »Was war
schrecklich?« Dóra suchte verzweifelt nach den
richtigen Fragen. »Hat Alda den Mann
umgebracht?«
    Der Alte
starrte sie zornig an. »Du bist immer so anstrengend,
Sigríður. Wer hat dich
eingeladen?«
    »Klara.«
Dóra

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