Das Gluehende Grab
Dóra wählte gutgelaunt die
Nummer des Gefängnisses. »Gut, dass du anrufst«,
sagte ihr Mandant. »Ich hab mich an einen Anrufer auf meinem
Weg ins Sommerhaus erinnert – es ist bestimmt der mit der
Geheimnummer.«
»Schön,
Markús. Wer war es?«
»Ich
habe für meinen Sohn ein Gebot für eine Wohnung auf den
Westmännerinseln abgegeben. Er ist oft dort und wohnt immer
bei Leifur und María. Das geht nicht mehr, jetzt, wo er
erwachsen wird. Mir ist wieder eingefallen, dass der
Immobilienmakler mich angerufen hat, um mir zu sagen, dass der
Verkäufer das Gebot nicht angenommen hat. Wir haben
besprochen, was zu tun ist, und am Ende habe ich mein Gebot
erhöht. Ich habe schon {243 }öfter mit dem Makler
zusammengearbeitet, er kennt mich und kann bezeugen, dass er mit
mir persönlich gesprochen hat.«
Dóra
hätte am liebsten einen Freudenschrei ausgestoßen.
Endlich ging es aufwärts. »Großartig. Ich werde
das sofort der Polizei mitteilen, dann können sie ihn
vernehmen, bevor morgen die U-Haft ausläuft. Sie beantragen
bestimmt keine Verlängerung, wenn du ein Alibi hast.«
Sie hörte, wie Markús aufatmete.
»Das ist
sehr gut, ich halte es auch nicht mehr länger aus. Hier sind
einem völlig die Hände gebunden. Man weiß nicht,
was passiert, darf keine Zeitung lesen und keine Nachrichten
gucken. Ich bin sehr aktiv im ausländischen
Aktienmarktgeschäft – ich könnte Millionen
verlieren!«
»Es
dauert nicht mehr lange«, beruhigte ihn Dóra.
»Ich wollte noch über etwas anderes mit dir
reden.«
»Gibt es
keine Möglichkeit, dass ich heute Abend schon
freikomme?« Markús ignorierte ihre Worte
einfach.
»Ich
werde das natürlich einfordern, aber sie lassen sich bestimmt
nicht darauf ein, solange du auch noch wegen der anderen Morde als
Verdächtiger giltst. Sie werden dich so lange wie möglich
dabehalten. In dieser Sache ist noch keine Lösung in Sicht,
und genau darüber möchte ich mit dir reden.«
Dóra war froh, das Gespräch wieder in die richtige
Richtung lenken zu können. »Ich habe Informationen
über deinen Vater, es geht um einen Vorfall ein paar Tage vor
dem Vulkanausbruch. Ich glaube, dass das mit den Leichen
zusammenhängt. Ich muss die Polizei darüber
informieren.« Markús’ Reaktion ließ auf
sich warten.
»Was
genau meinst du?«, fragte er schließlich. »Ist es
schlecht für meinen Vater?«
»Ja.«
Es gab keinen Grund, die Lage zu beschönigen. »Dein
Vater wurde an einer Stelle gesehen, wo man eine größere
Menge Blut gefunden hat, für die es keine Erklärung gibt.
Es könnte von einer Schlägerei oder einem Überfall
stammen, der dazu geführt hat, dass die Männer im Keller
gelandet sind. Die Polizei muss auf jeden Fall darüber
informiert werden.«
»Muss
sie das wirklich? Vielleicht hat es gar nichts mit dem Fall zu
tun.«
»Sie
werden untersuchen, ob es da einen Zusammenhang gibt«,
entgegnete Dóra. »Wenn dem so ist, stellt sich
hoffentlich bald heraus, wer die Männer waren und wie sie zu
Tode gekommen sind.« Dóra holte tief Luft. »Du
bist darauf angewiesen, dass der Fall aufgeklärt wird,
Markús. Die Wahrheit wird dir nicht
schaden.«
»Und
wann soll mein Vater bei diesem... Blutbad überrascht worden
sein?« Aus Markús’ Stimme ließ sich keine
Gefühlsregung heraushören.
»Am
Freitag vor dem Ausbruch, an dem Abend, als du deinen ersten
Vollrausch hattest«, antwortete sie. »Er wurde nicht
bei einem Blutbad überrascht, sondern in der Nähe der
Stelle gesehen, wo man am nächsten Morgen Blut entdeckt hat.
Vielleicht gibt es eine logische Erklärung dafür.«
Sie zögerte einen Moment, aber Markús schwieg.
»Weißt du, ob dein Vater an dem Abend nochmal
rausgegangen ist, nachdem er dich nach Hause gebracht
hatte?«
Markús
schnaubte verächtlich. »Ich bin sofort eingeschlafen.
Hab’s noch nicht mal bis in mein Zimmer geschafft und bin
morgens auf dem Sofa wieder wach geworden. Zur Freude meiner Mutter
hatte ich den ganzen Teppich vollgekotzt. Ich glaube nicht, dass
Vater in der Stimmung war, nochmal rauszugehen. Ich war zwar total
benebelt, aber an seine Wut kann ich mich noch gut
erinnern.«
»Dein
Vater hätte also durchaus nochmal rausgehen
können?«, fragte Dóra vorsichtig. »Du
hättest es gar nicht bemerkt?«
»Nein«,
sagte Markús langsam. »Hätte ich nicht.« Er
zögerte einen Moment. »Aber es ist völlig
ausgeschlossen, dass mein Vater irgendjemanden umgebracht und in
der Nacht Leichen in unseren Keller geschleppt hat. Als ich
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