Das Gluehende Grab
Hannes wusste nicht, was diesen
Sinneswandel verursacht hatte, aber die leitende Schwester von der
Betreuungsstelle für Vergewaltigungsopfer war nicht damit
einverstanden gewesen. Ihrer Meinung nach befand sich Alda in einer
psychischen Krise und war nicht mehr arbeitsfähig. Daraufhin
wurde Alda gebeten, sich freistellen zu lassen, was sie auch
tat.
Hannes konnte
sich weder an den Namen des Mädchens noch an den Namen des
Vergewaltigers erinnern. Dóra war sich sicher, dass es sich
bei Letzterem um Adolf Daðason handelte. Aldas Sinneswandel
konnte damit zusammenhängen, dass sie Adolfs Eltern kannte.
Das Datum aus der Zeitungsnotiz passte genau. Darüber hinaus
meinte Hannes, etwas von unangemessener Umgangsweise mit Patienten
gehört zu haben, war sich aber nicht sicher, ob das Thema erst
nach Aldas Beurlaubung aufgekommen war.
Bevor sie
Hannes in Ruhe ließ, fragte Dóra ihn auch noch nach
dem Obduktionsbericht aus Aldas Schreibtisch. »Ist das in
Ísafjörður passiert?«, war seine spontane
Reaktion.
»Stimmt«,
antwortete Dóra verwundert. »Hast du was darüber
gehört?«
»Ja, ich
glaube, es geht um die Frau, die dort angeblich wegen eines
Ärztefehlers gestorben ist. Angehörige der Frau haben
Schadenersatz gefordert. Da ist irgendein Prozess im Gange. Wird
spannend zu hören, was dabei
herauskommt.«
»Was ist
denn da eigentlich passiert?« Dóra hatte aus dem
Bericht nur herauslesen können, dass die Frau an einer
allergischen Reaktion auf ein Antibiotikum gestorben
war.
»Die
Frau ist auf einem Ausflug mit dem Wanderverein an einer
gefährlichen Streptokokkeninfektion erkrankt. Ihre
Mitreisenden haben nicht schnell genug reagiert, und als sie in
Ísafjörður {248 }ins Krankenhaus eingeliefert
wurde, hatte sie bereits einen Fußbrand. Dort hat man dann
den Fehler gemacht, sie vor der Behandlung nicht zu fragen, ob sie
Penizillin verträgt. Ich weiß nicht, in welchem Zustand
die Frau war, aber man hätte ihre Angehörigen nach
möglichen Allergien fragen müssen, falls sie selbst nicht
ansprechbar war. Sie hatte eine schockartige Allergie gegen
Penizillin, die bereits im Jugendalter festgestellt worden war.
Unabhängig davon ist allerdings unklar, ob sie die Infektion
überhaupt überlebt hätte.«
»Im
Krankenhaus muss es doch irgendwelche Vorschriften darüber
geben«, meinte Dóra. »Oder war ihr Zustand so
schlecht, dass man keine Zeit hatte, die Angehörigen
anzurufen?«
»Das ist
genau der Punkt«, antwortete Hannes. »Die Frau war vor
vielen Jahren schon mal in diesem Krankenhaus, und in ihrer
Krankenakte stand nichts von der Allergie, geschweige denn etwas
von einer schockartigen allergischen Reaktion. Der Fehler wurde
also nicht jetzt, sondern schon vor vielen Jahren begangen. Ich
habe natürlich nur von der Geschichte gehört, aber soweit
ich weiß, ging aus der Krankenakte hervor, dass die Frau
damals ohne schwerwiegende Folgen Penizillin bekommen
hatte.«
»Treten
denn bei einer solchen Allergie nur manchmal Komplikationen
auf?«
»Nein,
ausgeschlossen. Es muss ein Fehler in der Krankenakte sein. Sie
müssen ihr damals ein Antibiotikum gegeben haben, das kein
Penizillin enthält. Oder einen falschen Eintrag in der Akte
gemacht haben. Ich weiß nicht, wie alt die Frau zu dem
Zeitpunkt war, aber die Allergie war schon längst
diagnostiziert worden. Solche Allergien sind nicht angeboren, aber
sie verschwinden auch nicht wieder, wenn sie einmal aufgetreten
sind. Bei ihrem allerersten Krankenhausaufenthalt war die Allergie
bereits dokumentiert, und sie hatte sogar einen Notfallausweis
dabei. Diesmal bestand der Fehler also darin, dass sie nicht nach
dem Ausweis gesucht haben, aber angeblich hatte sie keine
Handtasche und kein Portemonnaie dabei.«
»Und
dann ist sie einfach gestorben?«, fragte Dóra
erstaunt. »Kann man da gar nichts mehr
machen?«
»Die
Entzündung hat eine Blockierung der Atemwege ausgelöst,
an der sie erstickt ist.« Hannes klang so, als würde er
einen Schnupfen beschreiben.
»Wie
kommt man eigentlich an den Obduktionsbericht einer Person, mit der
man nicht verwandt ist?«
»Frag
mich nicht – normalerweise würde ich sagen, dass das
nicht möglich ist. Den bekommen eigentlich nur die
Angehörigen. Man kann nicht einfach irgendwo anrufen und sich
eine Kopie schicken lassen.«
»Warum
gibt es keine zentrale Datenbank für
Allergiepatienten?«, fragte Dóra am
Ende.
»Das
wäre sehr hilfreich und wurde auch schon diskutiert, aber noch
nicht umgesetzt«,
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