Das Götter-Opfer
Ägypten?«
Selima überlegte eine Weile. »Nicht richtig, aber ich kann es mir vorstellen.«
»Braucht man dich dort?«
»Vielleicht…«
»Willst du denn hin?«
Ihr Mund verzog sich zu einem Lächeln. »Ob ich hinwill, weiß ich nicht. Ich werde wohl gehen müssen. Es drängt mich. Ich war für das Götter-Opfer ausgesehen, und es muß nachgeholt werden. Ich sollte Seth geopfert werden…«
»Das verhindern wir.«
Sie starrte mich an. »Du kannst es nicht. Die anderen Kräfte sind zu mächtig.«
»ich weiß es. Aber auch ich habe Freunde, darauf kannst du dich verlassen.«
»Was willst du tun?«
»Zunächst einmal zahlen. Dann sehen wir weiter. Wenn alle Stricke reißen, werden wir gemeinsam nach Ägypten fahren. Aber nicht heute, sondern morgen oder übermorgen.«
»Soll ich mit zu dir kommen?«
»Das wäre keine schlechte Idee, aber ich habe eine bessere. Wir werden zu zwei von meinen Freundinnen fahren. Eine heißt Jane Collins, die andere Sarah Goldwyn. Zusammen mit ihnen werden wir abwarten, was passieren wird.«
»Und wenn wieder solche Männer auftauchen?«
Ich lächelte. »Sind wir gewarnt. Ich kann mir jetzt auch vorstellen, wer sie sind.«
»Ich nicht.«
»Seths Helfer«, sagte ich leise und winkte dann der Bedienung, um die Rechnung zu begleichen…
***
Ich hatte Lady Sarah Goldwyn und Jane Collins angerufen und unser Kommen angekündigt. Es schien mir die beste Möglichkeit zu sein, Selima sicher unterzubringen, auch deshalb, weil sie nicht mehr wußte, wer sie war. Das Leben der Vergangenheit war dabei, sich immer mehr hervorzudrücken und das in der Gegenwart zur Seite zu schieben, bis hinein ins Vergessen.
Beide Frauen hatte ich mit meiner telefonischen Attacke überrascht. Während sich Sarah Goldwyn freute – sie war immer für neue Dinge offen –, hatte sich Jane etwas skeptisch gezeigt, und aus ihrer Stimme war sogar so etwas wie Eifersucht herauszuhören gewesen.
Selima saß schweigend neben mir auf der Rückbank des Taxis. Sie schien sich auch ihretwegen keinerlei Sorgen zu machen. So schaute sie sich nicht einmal nach irgendwelchen Verfolgern um, sondern blieb auch weiterhin stumm.
Sie erkundigte sich nicht nach Sarah Goldwyn und auch nicht nach Jane Collins. Sie würde alles hinnehmen und gab mir dabei einen großen Vorschuß an Vertrauen.
Trotzdem stellte sie mir die Frage. »Was wirst du tun, wenn ich mich immer mehr verändere, John?«
»Wie meinst du das?«
Sie zuckte mit den Schultern. »Ich habe über mich nachgedacht.« Sie lachte leise auf. »Ich komme trotzdem nicht mit mir zurecht. Alles ist anders geworden. Ich weiß nicht mehr genau, wer ich nun bin. Bin ich Selima aus der Vergangenheit oder die aus der Gegenwart?«
»Möchtest du eine ehrliche Antwort hören?«
»Ja, das wäre wunderbar.«
»Ich denke eher, daß du beides bist. Aber daß die Vergangenheit dabei ist, die Gegenwart immer mehr einzuholen und sie sogar noch zu überflügeln. Meinst du, daß dein erstes Leben zurückkehren wird?«
»Ich spüre es. Da bewegt sich etwas in meinem Innern. Ich kann nur sagen, daß meine Seele in Aufruhr ist. Ich erlebe eine andere Verwandlung.«
»Nun ja, das ist einzig und allein deine Sache. Du wirst es merken. Wenn dem wirklich so ist, werden auch die Erinnerungen zurückkehren, dessen bin ich mir sicher.«
»Nicht nur das«, sagte sie leise.
»Sondern?«
»Ich werde zu dem werden, was ich einmal war. Zu…«, sie mußte schlucken. »Zu einem Götter-Opfer.«
Ich warf ihr einen Blick zu. Selirna hielt die Augen geschlossen. Sie zitterte leicht, und es war ihr anzusehen, daß sie es nicht wollte. Sie fühlte sich schon jetzt als echtes Opfer.
Als ich ihre Hand nahm und festhielt, dachte ich darüber nach, wer sie damals gewesen sein konnte. Einfach nur eine Frau aus dem Volk, die zufällig als Götter-Opfer ausgesucht worden war? Oder eine Prinzessin, die Macht hatte, vielleicht sogar über die Kaste der Hohepriester hinweg, die es dann nicht ertragen konnten, von einer Frau übertrumpft zu werden.
Auch das hatte es gegeben. Nicht nur in der heutigen Zeit. Der Kampf der Geschlechter war so alt wie die Menschheit selbst.
Ihre Finger zuckten leicht, das merkte ich sehr deutlich. Mit leiser Stimme sagte sie: »Ich kann mich nicht an meine eigentlichen Eltern erinnern, noch nicht. Ich weiß, daß es sie gegeben haben muß, das ist alles klar, aber ich kann mir nicht vorstellen, wie sie ausgesehen haben und welchen Stand sie besaßen. Das schwimmt noch
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