Das göttliche Mädchen - Carter, A: Das göttliche Mädchen
Augen und seufzte. Mein Körper schrie nach Schlaf, und nach dem schrecklichen Verlust meiner Mutter und all den anderen Dingen, die geschehen waren, wusste ich, dass es zwecklos war, dagegen anzukämpfen.
Ich war mir nicht sicher, doch als ich gerade am Einnicken war, meinte ich zu hören, wie Henry leise sagte: „Ich liebe dich auch.“
18. KAPITEL
DAS ANGEBOT
Die folgende Woche über wich Henry nicht von meiner Seite. Was auch immer in der süßen Flüssigkeit war, die Walter mir unermüdlich einflößte, es wirkte. Die meiste Zeit verbrachte ich schlafend. Nach und nach verblassten die Albträume, doch manchmal wachte ich immer noch keuchend auf und konnte das Gefühl nicht vergessen, wie mich das eisige Wasser in die Tiefen des Flusses hinabgezogen hatte.
Der Schmerz über den Tod meiner Mutter verlor nichts von seiner Schärfe, doch langsam lernte ich zu akzeptieren, dass er noch für lange Zeit da sein würde. Wenn ich in Selbstmitleid versank, während ich mich eigentlich erholen sollte, würde Henry das sehr verletzen. Es wäre eine Beleidigung des Geschenks gewesen, das meine Mom mir gemacht hatte, und die vergangenen sechs Monate hatten mich auf diesen Moment vorbereitet. Ich hatte die Chance bekommen, mich auf eine Art zu verabschieden, die ohne Henry niemals möglich gewesen wäre. Auch wenn der Schmerz derselbe war, spürte ich doch einen Frieden in mir, den ich anderenfalls nicht empfunden hätte.
Vielleicht würde der Rat mich trotz allem, was zwischen Henry und mir passiert war, akzeptieren. Ich klammerte mich an die Hoffnung, dass es mir möglich wäre, meine Mutter eines Tages wieder zu besuchen, mit ihr durch den Park zu spazieren und zu reden. Der Tod war nicht das Ende, Ava war der Beweis dafür. Doch trotzdem trauerte ich um meine Mutter und vermisste sie unendlich.
Fast ununterbrochen bekam ich Besuch. Zuerst waren es nur Henry und Walter, doch als ich darauf bestand, wurde auch Ava in mein Zimmer gelassen. Sobald sie mich sah, stürzte sie an mein Bett, die Augen rot und verquollen.
„Kate! Oh Gott, du bist in Ordnung – sie haben gesagt, dass du okay bist, aber ich hatte solche Angst, dass sie das bloß behaupten,du weißt ja, wie die Leute sein können, aber du bist wirklich hier und wach und … oh mein Gott.“
Sie legte die Arme so zaghaft um mich, dass ich sie kaum spürte, aber es war mir egal, ob es wehtat. Stürmisch zog ich sie an mich und drückte sie, so fest ich konnte – und zahlte die nächsten dreißig Sekunden lang den Preis dafür. Schmerz durchzuckte mich bis in die Finger und Zehenspitzen, doch das war es wert gewesen.
„Entschuldige!“, rief sie und wurde tiefrot, als sie mich aufstöhnen hörte. Henry auf der anderen Seite des Betts sah besorgt aus, doch mittlerweile hatte er sich daran gewöhnt, dass ich mich überanstrengte. Solange meine Nähte nicht aufplatzten, war alles gut.
„Entschuldige dich nicht“, bat ich sie, als ich wieder sprechen konnte. „Ich wollte dich umarmen. Das tut mir alles so wahnsinnig leid. Dass ich dich wegen Theo angeschrien hab, dass ich all diese furchtbaren Sachen zu dir gesagt hab – das hattest du nicht verdient, nichts davon.“
Sie machte eine wegwerfende Handbewegung. „Ist doch egal. Du hattest recht – ich hab mich wie eine Idiotin benommen. Aber du bist am Leben! Du kommst durch, und ich werde nicht bis in alle Ewigkeit ohne meine beste Freundin hier feststecken.“ Lä-chelnd sah sie mich an. „Übrigens wäre das alles nicht passiert, wenn du mir erlaubt hättest, dir das Schwimmen beizubringen.“
„Ja, da hattest du den richtigen Riecher“, bestätigte ich und überging den Teil, bei dem Calliope mich niedergestochen hatte, bevor sie mich in den Fluss geworfen hatte. Ich wagte zu bezweifeln, dass das für Ava viel geändert hätte. „Weißt du was – wenn Henry mich für gesund erklärt, suchen wir uns eine Stelle auf dem Anwesen, und du kannst es mir beibringen.“
Das Grinsen auf Avas Gesicht war es mehr als wert, dass es mich einiges kosten würde, wieder ins Wasser zu steigen.
Nachdem sie gegangen war, spielten Henry und ich den ganzen Nachmittag über Karten. Selbst auf dem Krankenbett gewann ich beinah jedes Mal, doch es schien ihm nichts auszumachen. Stattdessenmachte er den Eindruck, als würde er es genießen, sich auseinandernehmen zu lassen, und ich kam ihm da gern entgegen.
„Ich werde dich den Sommer über vermissen“, erklärte ich, nachdem ich zum fünften Mal
Weitere Kostenlose Bücher