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Das göttliche Mädchen - Carter, A: Das göttliche Mädchen

Das göttliche Mädchen - Carter, A: Das göttliche Mädchen

Titel: Das göttliche Mädchen - Carter, A: Das göttliche Mädchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aimée Carter
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Spiel setzen? Ich meine, wenn ich an ihrer Stelle wäre, ich hätte ihn lieber zusammen mit einer anderen gesehen als gar nicht.“
    „Es gibt mehr als eine Art von Liebe“, erwiderte meine Mutter. „Vielleicht ist das der Unterschied zwischen dir und Calliope und der Grund, aus dem du auserwählt wurdest und nicht sie.“
    Ich schloss die Augen und versuchte darüber nachzudenken, doch nichts außer dem Schaukeln des Boots und dem Geräusch des Atems meiner Mutter machte noch Sinn.
    „Ich will nicht gehen“, flüsterte ich. „Ich will mich nicht verabschieden.“
    Sie barg ihr Gesicht in meinem Haar. „Das wirst du nicht müssen.“
    Bevor ich entschlüsseln konnte, was sie damit sagen wollte, glittdas Boot ans Ufer. Als es auf Grund lief, öffnete ich die Augen und sah eine Silhouette im Wasser gespiegelt, unruhig und durchbrochen von den kleinen Wellen. Die schlanken Arme meiner Mutter wichen warmen Muskeln, und ich spürte, wie ich aus dem Boot gehoben wurde. Ich wollte mich wehren, wollte darauf bestehen, bei meiner Mutter zu bleiben, doch meine Zunge war bleischwer, und meine Gedanken waren träge.
    „Ich hab sie“, erklang eine schmerzerfüllte Stimme. Henry.
    „Danke“, sagte meine Mutter, und in diesem einen Wort schwang eine Traurigkeit mit, die ich nicht verstand. Mom strich mir über die Wange und beugte sich vor, um ihn auf die Schläfe zu küssen. „Pass auf sie auf, Henry.“
    „Das werde ich“, versprach er und verstummte. Meine Mutter beugte sich hinab und küsste meine Stirn. Verzweifelt strengte ich mich an, ihre Hand zu ergreifen, doch sie tat es für mich, und mit letzter Kraft drückte ich schwach ihre Finger.
    „Mom?“ Selbst für mich hörte sich meine Stimme fremd und verzerrt an, als würde ich gerade erst sprechen lernen.
    „Alles ist gut, Liebes.“ Sie wich zurück, und ich sah Tränen in ihren Augen. „Ich liebe dich, und ich bin so stolz auf dich. Vergiss das nie.“
    Panik wallte in mir auf, doch unfähig, ihr Ausdruck zu verleihen, musste ich den herzzerreißenden Schmerz ertragen. Meine Mutter verließ mich. Das war das Ende. Mir hätten noch Wochen mit ihr bleiben sollen … War das nicht unsere Abmachung gewesen?
    Ich Dummerchen. Wie sollte ich denn Zeit mit ihr verbringen, wenn ich tot war und sie nicht?
    „Ich liebe dich auch“, erwiderte ich, und obwohl es mehr nach einem unverständlichen Gurgeln als nach irgendetwas anderem klang, lächelte sie.
    Als Henry sich von ihr abwandte und mich in die tintenschwarze Nacht trug, drehte ich den Kopf weit genug, um sie in der Ferne kleiner und kleiner werden zu sehen. Schließlich schien sie zu verblassen, und dann war sie fort. Ich klammerte michan ihre letzten Worte, während ich der schweren, verlockenden Müdigkeit zu widerstehen versuchte, die mich zu übermannen drohte. Ich würde meine Mom wiedersehen, wenn sie hinüber-ging, und auf uns würden unendliche Sommertage gemeinsam im Central Park warten.
    Doch obwohl ich das wusste, obwohl Henry mich in meinen eigenen Tod trug, konnte ich nicht anders, als zwei winzige Worte mit den Lippen zu formen. Zwei Worte, gegen die ich mich viele Jahre gewehrt hatte, die ich niemals hatte aussprechen wollen.
    Leb wohl .
    Ich rechnete damit, dass der Tod kalt sein würde. Stattdessen war das Erste, das ich fühlte, Wärme: eine unglaubliche Wärme, die meinen Körper erfüllte – oder das, was von meinem Körper noch übrig war – und sich in mir ausbreitete wie Honig. War es das, was Ava erlebt hatte? In Wärme zu erwachen? Es schien viel zu leicht.
    Und dann setzten die Schmerzen ein. Überwältigende, qualvolle Schmerzen in meiner Brust und meiner Seite, genau dort, wo Calliope zugestochen hatte. Aufkeuchend gab ich mir innerlich einen Tritt für die dämliche Annahme, es könnte so einfach sein. An Ava war schließlich keine Spur von ihrer Kopfwunde zu sehen gewesen, und mein Körper musste erst einmal heilen, bevor ich aufstehen und herumlaufen konnte.
    Flüstern erfüllte den Raum, und ich konnte kein Wort verstehen. Andere tote Seelen? Würde meine Mutter schon auf mich warten? Würde ich die Augen öffnen und Gras und Bäume und die Sonne erblicken, oder gehörte mehr dazu? Ich hätte Henry fragen sollen, als ich die Gelegenheit dazu gehabt hatte.
    Es schien Ewigkeiten zu dauern, bis ich mich zwingen konnte nachzusehen. Zu Beginn schmerzte das Licht, und schnell kniff ich die Lider zusammen, doch als ich es beim zweiten Versuch etwas langsamer angehen ließ,

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