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Das göttliche Mädchen - Carter, A: Das göttliche Mädchen

Das göttliche Mädchen - Carter, A: Das göttliche Mädchen

Titel: Das göttliche Mädchen - Carter, A: Das göttliche Mädchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aimée Carter
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Ich war die Einzige, die für ihn kämpfte, und ich war mir nicht mehr sicher, ob ich der Herausforderung gewachsen war.

15. KAPITEL
    GIFT
    Es war ein unangenehmer Nebeneffekt von Avas Verbannung und der Möglichkeit eines Racheversuchs, dass mir von nun an ein hünenhafter Wachmann auf Schritt und Tritt folgte. Stolze eins achtundneunzig maß der große Blonde, der mir schon damals auf dem Ball im September aufgefallen war. Er hinkte leicht, was seine Schnelligkeit jedoch nicht zu beeinträchtigen schien, und ich traute mich nicht zu fragen, warum er humpelte. Calliope sprach ihn mit Nicholas an, und auch wenn er nicht viel sagte, war er ziemlich nett für einen Typen, der mich mit einem Fingerstreich hätte umbringen können.
    Ich blieb niemals mehr allein. Wenn Nicholas nicht bei mir war, war es Henry, und wenn ich schlief, hatte er noch weitere Wachen vor meiner Tür postiert. Doch die waren nur zur Schau, denn nach Heiligabend verbrachte Henry jede Nacht bei mir. Im Gegensatz zu seinem Verhalten vor Weihnachten hatte er eine Hundertachtziggradwende gemacht. Es war, als hätte ich eine unsichtbare Barriere durchbrochen, und statt mir aus dem Weg zu gehen und zu hoffen, dass ich schon selbst dafür sorgen würde, am Leben zu bleiben, schien er jetzt entschlossen, das für mich zu übernehmen.
    An unseren gemeinsamen Abenden gab es keine Zärtlichkeiten zwischen uns, außer einem Kuss hier und da oder einer sanften Berührung. Henry versuchte nie, mich zu mehr zu drängen. Ich war einfach nur dankbar für seine Gesellschaft, und je mehr ich von seiner menschlichen Seite kennenlernte, desto mehr hoffte ich, ich wäre ihm wichtig genug, dass er bleiben wollte.
    Es war keine Schauspielerei. Ich erwiderte seine Küsse nicht, um ihn zu der Annahme zu verleiten, er wäre mir wichtig, und auch nicht aus Mitleid. Ich war dabei, mich in ihn zu verlieben, jeden Tag ein bisschen mehr, selbst wenn ein sehr großer Teil von mir wusste, dass das keine gute Idee war. Es gab keine Garantie,dass ich bestehen würde, und nichts gab mir Grund zu der Annahme, eine Beziehung jeglicher Art würde über das Ende des Winters hinausgehen. Doch wenn ich auf wundersame Weise tatsächlich bestand, würde Henry einen Grund brauchen zu bleiben, und dieser Grund würde ich sein.
    Also schob ich zum ersten Mal in meinem Leben die Sorgen und Zweifel fort und riss alle schützenden Mauern nieder. Die Nachmittage waren jetzt eine Qual, eine Zeit, die ich durchstehen musste, um wieder mit Henry allein zu sein. Jedes Mal, wenn ich ihn sah – egal, wie kurz er fort gewesen war –, raste mein Herz. Jetzt, da ich Weihnachten überlebt hatte, wagte ich zu hoffen, dass wir vielleicht doch eine gemeinsame Zukunft haben könnten.
    Wenn ich vor ihm aufwachte, sah ich ihm beim Schlafen zu, während die ersten Sonnenstrahlen durch die Vorhänge schienen, und versuchte mir auszumalen, für den Rest der Ewigkeit so neben ihm aufzuwachen. Es war ein seltsamer Gedanke, dass er, sollte das Unmögliche geschehen und ich alle Prüfungen lebendig überstehen, meine Zukunft sein würde. Meine gesamte Zukunft, ohne einen drohenden Tod, der hinter der nächsten Ecke lauerte. Mein Ehemann.
    Das Wort fühlte sich fremd an in meinen Gedanken, ganz zu schweigen davon, es auszusprechen. Ich war überzeugt, dass ich mich niemals an die Vorstellung gewöhnen würde. Doch sosehr ich mich auch dagegen wehrte – ich war zu jung, zu einsam, nicht mal ansatzweise bereit für ein solches Leben –, begann ich zu erkennen, dass es gar nicht so furchtbar wäre. Henry war ein gebrochener Mann, aber mir ging es nicht besser. Und mein Leben mit ihm zu verbringen würde wohl kaum die Hölle werden, die ich mir in den Wochen ausgemalt hatte, nachdem er Ava gerettet hatte. Vielleicht würden wir es sogar irgendwann schaffen, einander zu heilen. Ich konnte ihm geben, was er brauchte – eine Freundin, eine Frau, eine Königin –, und im Gegenzug konnte er meine Familie sein.
    Als der Frühling näherrückte, wurden die Träume mit meiner Mutter ernster. Jeder Moment war kostbar, und doch wusste ichkaum, was ich sagen sollte. An den meisten Tagen spazierten wir Hand in Hand durch den Park, während sie eine Unterhaltung über alles und nichts in Gang hielt. Jede Nacht sagte sie mir, wie stolz sie auf mich war, wie sehr sie mich liebte und wie sehr sie sich wünschte, dass ich ohne sie glücklich sein würde. Dass ich sie nicht brauchte, um weiterzumachen, wie Henry mich brauchte.

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