Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das göttliche Mädchen - Carter, A: Das göttliche Mädchen

Das göttliche Mädchen - Carter, A: Das göttliche Mädchen

Titel: Das göttliche Mädchen - Carter, A: Das göttliche Mädchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aimée Carter
Vom Netzwerk:
falsch? War es möglich, dass sie auch nur von dem Gift gehört hatte? Machte sie sich Sorgen?
    Doch je länger ich darüber nachdachte, desto klarer wurde mir, dass sie die Hauptverdächtige war. Nach dem, was Weihnachten passiert war, konnte ich ihr keinen Vorwurf daraus machen, wenn sie wütend auf mich war. Ich hatte so viele Dinge, die sie nicht besaß. Ein Leben, viele Möglichkeiten – und wenigstens einen Tag lang hatte ich Henry gehabt.
    Was war der nächste Schritt? War ihre Eifersucht Motivation genug, um zu versuchen, mich umzubringen? Oder hatte sie von Henrys Reaktion gehört und war erst mal bedient?
    „Zum Fluss geht’s hier lang“, unterbrach Calliope meine Gedanken, während wir sorgfältig unseren Weg über den unebenenWaldboden suchten. Ich blickte beim Gehen zu Boden, aus Angst, zu stolpern und hinzufallen.
    Mühsam suchte ich nach einem Gesprächsthema, das Ava nicht einschloss.
    „Fließt der eigentlich über das ganze Grundstück?“ Ich konnte mich nicht erinnern, auf der anderen Seite der Hecke einen Fluss gesehen zu haben.
    „Irgendwann geht er unterirdisch weiter“, erklärte Calliope, als sei das völlig normal. „Ich hab gehört, Ava wär mal fast drin ertrunken. Stimmt das?“
    „Sie ist nicht fast ertrunken“, korrigierte ich und verzog bei der Erinnerung das Gesicht. „Sie ist ertrunken. Ich musste hinterherspringen. So ist sie gestorben – hat sich den Schädel an einem Felsen eingeschlagen.“ Entschlossen konzentrierte ich mich auf den Waldboden. Über diese Nacht wollte ich nicht nachdenken.
    „Was, glaubst du, würdest du jetzt gerade machen, wenn du nicht hier wärst? Wenn Ava nicht gestorben wäre?“
    Genau diese Frage hatte ich sechs Monate lang vermieden, mir zu stellen.
    „Ich weiß es nicht. Wahrscheinlich wär ich wieder in New York.“
    „Mit deiner Mutter?“
    Ich seufzte. „Nein. Sie wäre jetzt schon tot.“ Das war leichter auszusprechen, als ich erwartet hatte. „Sie wollte, dass ich in Eden bleibe und die Highschool abschließe, aber ich glaube nicht, dass ich das könnte.“
    Calliope warf mir einen mitfühlenden Blick zu, doch ich wollte ihr Mitleid nicht.
    „Die Lichtung ist gleich hier“, sagte sie dann, und durch die Bäume konnte ich es sehen – eine Wiese, die ungefähr so groß war wie mein Schlafzimmer. In der Nähe hörte ich den Fluss rauschen. „Was ist mit deinem Vater?“
    „Was soll mit ihm sein?“, fragte ich. „Er hat nie eine Rolle gespielt. Ich weiß nicht, wo er ist, und es ist mir auch egal. Wir sind immer gut ohne ihn zurechtgekommen.“
    „Momentan kommst du nicht mehr so gut zurecht“, entgegnete Calliope leise. Ich ignorierte sie. Meine Mutter sprach kaum je von meinem Vater, und ich hatte schon früh gelernt, ihn nicht zu erwähnen. Es war nicht so, dass sie wütend auf ihn oder verbittert gewesen wäre. Aber es gab einfach nicht viel über ihn zu erzählen. Sie waren nicht verheiratet gewesen, ich hatte nicht gefragt, was geschehen war, und das war’s. Was auch immer ich als kleines Mädchen für Fantasien gehabt haben mochte – dass er eines Tages vor der Tür stehen und mich in den Arm nehmen, mir Eis und Spielzeug kaufen würde –, sie waren längst Geschichte. Meine Mutter und ich waren ein eingespieltes Team. Wir brauchten niemand sonst.
    Schweigend bauten Calliope und ich unser Picknick auf – sie breitete die Decke aus, und ich sah nach, was alles Leckeres im Korb versteckt war. Mein Versprechen, das ich Henry gegeben hatte, im Kopf zu behalten war schwer, während ich direkt in eine Schatztruhe randvoll mit Sandwiches, Makkaroni und Brathähnchen blickte, daneben die üppigen Desserts, die mir jeden Abend serviert worden waren. Doch ich schaffte es. Gerade so.
    „Tut mir leid – das sieht alles köstlich aus, aber ich kann nichts essen“, gestand ich. „Ich bin nicht besonders hungrig.“
    „Na klar bist du das“, widersprach sie, strich die letzte Ecke der Decke glatt und ließ sich darauf nieder. Am Rand der Lichtung wartete Nicholas. Er sah missmutig aus. „Du hast nicht gefrühstückt. Außerdem esse ich auch, schon vergessen?“
    „Es ist nicht …“ Ich biss mir auf die Unterlippe. Auf keinen Fall wollte ich sie beleidigen, aber ich konnte ihr ja nicht gut sagen, dass es eine Prüfung war. „Nach dem, was passiert ist … Ich hab’s Henry versprochen, das ist alles. Tut mir leid. Ich hätt’s dir sagen sollen, bevor du das alles hier rausgeschleppt hast.“
    Ich wartete auf

Weitere Kostenlose Bücher