Das Gold der Lagune: Historischer Roman (German Edition)
spürte sie die harte Sohle eines Stiefels wieder an ihrer Wade und seufzte.
13
Polen
J oschka hatte Piet den Vorschlag gemacht, sich den Cygani anzuschließen. Nach kurzer Beratung mit Marianka hatten die beiden das Angebot mit Freudenangenommen, schließlich war es als Gaukler sicherer, in einer Gruppe zu reisen, zumal der Winter mit Macht über das Land hereingebrochen war.
So waren sienun schon seit einer Woche mit Joschka und den anderen im Westen des polnischen Königreichs unterwegs. In dieser Zeit hatte Marianka die meisten Kalderash besser kennengelernt, und ihre anfänglichen Vorurteile waren wie Schnee in der Sonne dahingeschmolzen. Selbst wenn es stimmte, dass es unter ihnen Betrüger, Diebe und arbeitsscheues Gesindel gab, die Leute, mit denen sie durch die Dörfer und Kleinstädte zogen, gehörten gewiss nicht dazu. Marianka schalt sich selbst, bei ihrer ersten Begegnung mit diesen gastfreundlichen Menschen so schlecht über sie gedacht und geredet zu haben.
Besonders mit Joschkas Frau, die ihr einen Platz in ihrem Planwagen angeboten hatte, verband sie schon bald eine Freundschaft, ganz so als würden sie sich schon jahrelang kennen. Wenn sie sich abends die kalten Hände am Feuer wärmten und die Kinder endlich selig schlummerten, erzählten sich Tamina und sie von ihrem Leben. Marianka sprach von Krakow und ihrer Familie, und Tamina berichtete, dass sie und Joschka erst vor zwei Jahren geheiratet hatten. Doch der hochgewachsene, fast zwanzig Jahre ältere Mann mit den pechschwarzen Locken war nicht Taminaserster Mann. Der Anführer der Gruppe hatte siezur Frau genommen, nachdem sein Bruder Janusch in den Wäldern um Krakow von einem Bären getötet worden war.
Verwandtschaft und Familie spielten bei den Kalderash eine wichtige Rolle. Eigentum wurde geteilt und stand jedem Mitglied der Gruppe zur Verfügung. Die Cygani waren ein Volk ohne eigenes Land. Seit Hunderten von Jahren zogen sie durch die Welt, allerorten abgelehnt und von den Leuten als Gesindel verschrien. Dennoch hatten diese Erfahrungen die Mitglieder der Gemeinschaft nicht bitter gemacht, wie Marianka staunend feststellte. Besonders Joschka besaß einen feinen Sinn für Humor, oft umspielte ein Lächeln seine Lippen, wenn er mit ihr sprach.
Als Marianka Tamina danach fragte, wie sie es fertigbrachten, trotz all der Anfeindungen ein fröhliches Leben zu führen, erklärte ihr diese, dass die Cygani Stärke und Trost im Zusammenhalt und in den Geschichten fanden, die die Alten am Lagerfeuer erzählten. Genauso wie aus den ausgelassenen Tänzen und Melodien, welche die jungen Männer ihren Lauten, Fideln und Schalmeyen entlockten. Was sie zum Leben brauchten, kauften sie von dem, was sie auf den Marktplätzen mit dem Flicken von Kesseln und Pfannen verdienten.
Währenddessen führte Piet seine Zaubertricks vor, bis sie genügend Geld gespart hatten, um ein besseres Seil für Marianka und Stoffe für neue Kostüme kaufen zu können. Ein Erlebnis wie in Czechstochova widerfuhr ihnen nicht wieder, doch wennseine Frau mit drei Eiern jonglierend auf dem Seil balancierte, hatte Piet stets ein Auge auf plötzlich auftauchende unliebsame Besucher in Priestertracht.
In einer Stadt namens Juveni Wladislawa boten die Kalderash zwei Tage lang ihre Dienste auf einem kleinen Marktplatz an, und zum ersten Mal führten Piet und Marianka ein neues Kunststück vor. Beide erklommen dickstämmige Bäume, zwischen die sie das Seil gespannt hatten, balancierten darauf hin und her und warfen sich gegenseitig Kusshände zu.
Am zweiten Abend lenkten die Männer die Pferdewagen und den Eselkarren durch die Tore der Stadt wieder hinaus. Die Stimmung zwischen Piet und Taminas Bruder Arva, einem kräftigen Mann von etwa fünfundzwanzig Lenzen, der den ersten Wagen lenkte und mit dem ihn inzwischen eine enge Freundschaft verband, war ausgelassen. Auf dem Kutschbock des Wagens, der hinter ihnen über die ungepflasterte Straße auf eines der zahllosen Laubwäldchen zurollte, saßen Joschka und Tamina. Unter der rissigen, von Wind und Wetter gegerbten Plane des Gefährts hockten zwei alte Frauen und das älteste Mitglied der kleinen Gemeinschaft, ein kahlköpfiger Greis von bald siebzig Jahren. Im letzten Fuhrwerk, das ein Mann namens Velky lenkte, saßen Marianka, ein paar junge Mütter und ihre Kinder. Zum Schluss kam der Eselkarren, auf dessen Kutschbock ein Junge, der eins der Cygani -Lieder pfiff, thronte.
Piet heftete den Blick auf das Ende der schmalen
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