Das Gold der Lagune: Historischer Roman (German Edition)
auch dieses kostbare Gut zu besitzen, zum Beispiel, um eine kleinere Menge davon zu verschenken.«
Ihr stockte der Atem. »Ihr wollt mir etwas von Eurem kostbaren Blattgold … Nein, das kann ich unmöglich annehmen«, brach es aus ihr heraus.
Ein Schatten huschte über das Gesicht des Venezianers, und Cristin fragte sich, ob sie ihn durch ihre Ablehnung beleidigt hatte, aber dann hoben sich seine Lippen zu einem leichten Lächeln.
»Gut, so lasst uns ein Geschäft machen. Ich gebe Euch etwas von meinem Blattgold, und Ihr werdet es mir bezahlen . Gebt mir fünf Denari dafür.«
»Fünf De… das ist doch viel zu …«
»… zu wenig, ja. Aber da Ihr kein Geschenk von mir annehmen wollt, werdet Ihr mir das Blattgold für fünf Denari abkaufen und damit basta. Ich bin mir sicher, unsere gemeinsame Freundin hätte es so gewollt.«
Cristin nickte, während sich in ihrer Kehle ein Kloß bildete. Fünf Denari – das entsprach fünf Witten. Das Blattgold war ein Vielfaches davon wert. Schwindel erfasste sie.
»Schön, dann ist es also abgemacht. Ich werde das Blattgold einfach der Seidenlieferung beilegen. Hier in Venezia besiegeln wir Geschäfte mit einem Händedruck, Signora.«
Sie ergriff seine Rechte und drückte sie.
Beschwingten Schrittes verließ Cristin einige Zeit später die Casa des Tuchhändlers. Doch es war nicht allein die Freude über das großzügige Geschenk des Italieners, dass ihr das Lächeln nicht aus dem Gesicht weichen wollte, sondern das Wissen, einen neuen Freund gewonnen zu haben.
Sorgfältig übertrug Cristin die Muster für den Brautstaat auf den zweiten Pergamentbogen. Manchmal musste sie innehalten, denn ihre Finger wurden steif vor Anstrengung, ja keinen Fehler zu begehen. Wenn sie nur einmal mit dem Federkiel ausrutschte oder einen dicken Klecks Tinte auf der Tierhaut hinterließ, konnte sie neues Pergament kaufen und noch einmal von vorn beginnen. Die junge Frau hielt den Atem an und befeuchtete die Lippen, während sie einen kritischen Blick auf ihr Werk warf. Ob sich Signora Montebello anhand ihrer stümperhaften Zeichnungen überhaupt ein Bild machen konnte?
Wenn sie Eindruck schinden konnte, dann gewiss mit diesem Stoff aus feinster byzantinischer Seide, der auf einem Tischchen lag. Wie Enrico de Gaspanioso ihr versichert hatte, gehörte diese Seide zu einer seiner ersten Lieferungen. Es war also nicht anzunehmen, dass die Signora dergleichen schon gesehen hatte. Und Cristin zweifelte nicht im Geringsten am fachlichen Auge von Elena Montebello. Sie schüttelte ihre Finger, um die Verkrampfungen zu lösen, und blickte aus dem Fenster.
Im Handelskontor war es still, ihre Begleiter hatten sich nach ihrer Bitte, sie in Ruhe arbeiten zu lassen, leise murrend zurückgezogen. Von draußen her vernahm sie Möwengeschrei und den Gesang eines Mannes, der vermutlich auf der Rialtobrücke mit seinen Liedern die Menschen zum Kaufen seiner Waren verführen wollte. Der Himmel an diesem Tag war tiefblau, wie gern würde sie hinausgehen, um das erste Mal seit ihrer Ankunft in Venedig ziellos durch die verzauberte Stadt zu schlendern. Sie würde die frische Brise tief in ihre Lungen atmen und sich an Baldo lehnen, in der ruhigen Gewissheit, alles wäre gut.
Cristin riss sich mit Gewalt aus ihren Träumereien und wendete ihre Aufmerksamkeit wieder dem Pergament zu. Der Gedanke, schon in wenigen Stunden vor der Casa der Montebellos zu stehen, ließ ihr Blut schneller durch die Adern jagen. Sie fühlte, wie Schweißperlen ihr den Rücken hinabliefen, als sie zu den letzten Federstrichen ansetzte und die Tintenfässchen danach sorgsam verschloss. Dann stand sie auf und reckte ihre verspannten Muskeln.
Einige Momente lang verweilte sie noch am Fenster, um dem munteren Treiben zuzusehen. Nach und nach spürte sie, wie sie sich entspannte. Sie hatte alles getan, wozu sie fähig war, und ihre ganze Liebe in das Anfertigen dieses Musters gelegt. Alles Weitere lag nun nicht mehr in ihrer Hand.
Sonnenstrahlen fielen durch das Fenster und streichelten ihr Gesicht. Ist dies nicht ein gutes Omen?, überlegte sie. Die Begegnung mit de Gaspanioso, der sie in jeder Hinsicht unterstützte und zudem noch mit den Montebellos bekannt gemacht hatte, war allein schon Grund zur Dankbarkeit. Cristin bedachte das Pergament auf dem Tisch mit einem nachdenklichen Blick und warf sich den Umhang um. Bastian und Baldo warteten gewiss schon auf sie.
22
A m Nachmittag suchten die Reisenden ein Badehaus auf, und Cristin
Weitere Kostenlose Bücher