Das Gold der Lagune: Historischer Roman (German Edition)
stahl sich in seine Mundwinkel. Endlich würde sie alles hinter sich lassen können, mit Baldo an ihrer Seite, der ihm zum Freund geworden war. Und mit der kleinen Elisabeth, von der seine Schwester solange getrennt gewesen war.
Obwohl es noch nicht allzu lange her war, seit sie sich voneinander verabschiedet hatten, vermisste er Cristin bereits schmerzlich. Piet war mit Leib und Seele Narr und Jongleur, und in Polen hatte er eine zweite Heimat gefunden. Dennoch waren da immerzu dieses Gefühl eines ständigen Verlustes und eine gewisse Traurigkeit darüber, sie nicht in seiner Nähe zu wissen. Des Nachts, wenn Marianka neben ihm schlief, gingen seine Gedanken auf Reisen zu seiner Zwillingsschwester, und er richtete seine ganze Aufmerksamkeit auf das geliebte Antlitz. Er malte sich aus, wie sie an ihrem Spinnrad arbeitete oder das Abendessen zubereitete. Oft versuchte er sich ihre Stimme vorzustellen, wollte vor seinem inneren Auge sehen, wie sie lachte und dabei die Nase krauszog. Doch nichts geschah. Wären es auch nur kurze, bruchstückartige Bilder, das würde ihm schon genügen.
In der Vergangenheit waren die Visionen stets unvermittelt über ihn gekommen, trotzdem hatte er sich darauf verlassen können. Nun aber blieb seit einer Weile alles stumm in ihm. Er seufzte und lenkte seine Gedanken zu Marianka. Wenn er die Hände über ihren biegsamen Körper wandern ließ, schenkte sie ihm Freuden, die er nie zuvor kennengelernt hatte. Er vermisste den Klang ihres Lachens und ihre warmen Arme, kaum dass er sie frühmorgens verließ. Die Arbeit an dem kleinen Haus, das sie in der Nähe von Mariankas Eltern bauten, schritt gut voran. Piet strich sich eine Haarsträhne aus der Stirn. Geschickt schlüpfte der Narr in seine Schuhe mit den kleinen Glöckchen, die bei jeder Bewegung klingelten, und stimmte ein fröhliches Lied an.
Der Marktplatz nahe dem Wawel war an diesem Morgen schon gut besucht. Gehüllt in leichte Umhänge, um den frischen Morgenwind abzuhalten, eilten die Menschen herbei, um an den Fleisch- und Gemüseständen einzukaufen. Vorräte mussten angelegt werden. Die Ernte war in diesem Jahr mehr als gut ausgefallen, selbst der ärmste Bauer mitsamt seiner Familie würde den nahenden Winter überstehen, ohne Hunger leiden zu müssen. Frauen trugen Körbe mit Rüben und Kohlköpfen, Säcke voller Getreide wechselten die Besitzer.
Ein üppig beladener Eselkarren fuhr heran. Beim näheren Hinsehen erkannte Piet die beiden Männer auf dem Kutschbock wieder. Es waren die jüdischen Schäfer, denen er bei einer Audienz von König Jagiello und seiner Gemahlin Jadwiga im vergangenen Jahr begegnet war.
Der Großvater, damals schon betagt, konnte inzwischen nur noch mithilfe des jüngeren Mannes vom Wagen klettern. Wie es schien, hatten auch sie einen guten Sommer gehabt. Die Schäfer hatten mit der Bitte um einen Teilerlass der auferlegten Steuern bei Hof für einen Eklat gesorgt. Sie waren daraufhin von den Günstlingen des Königspaares verspottet und beschimpft worden. Allein der Großmut Jadwigas hatte sie davor bewahrt, mit Stöcken und wüsten Flüchen aus dem Wawel gejagt zu werden. Den Blick, mit dem ihr Gemahl sie damals bedacht hatte, würde Piet wohl nie vergessen können.
Jadwiga. Liebreizende, gütige Königin Polens. Noch immer konnte er nicht fassen, dass sie nicht mehr am Leben war. Sie war die Seele dieses Reiches gewesen, die Sonne dieses Volkes. Nun ruhte sie in einer Gruft der Kathedrale des Wawel. Längst waren die Kundschafter Jagiellos unterwegs, um nach einer geeigneten Nachfolgerin Ausschau zu halten, die dem Herrscher endlich den ersehnten Thronerben gebären sollte. Jagiello war fast fünfzig Jahre alt, die Zeit drängte. Niemand würde Jadwiga je ersetzen können. Ohne ihre Gunst und Freundlichkeit hätten Cristin, Baldo und er wohlmöglich nie den Ring von Menschenhändlern aufgedeckt.
Die Königin hatte seine Schwester, Baldo, ihn selbst und Janek den Winter über in der Burg aufgenommen. Ohne sie wäre er seiner Marianka niemals begegnet. Ruhe sanft, geliebte Königin, dachte er und warf sich den fein gewebten Umhang um, den Jadwiga ihm als Abschiedsgeschenk überreicht hatte. Piet blinzelte, um die aufsteigenden Tränen zurückzuhalten. Ein Narr hatte lustig zu sein, Späße zu treiben. Seine Augen mussten blitzen, zwinkern und mit den hübschen Weibern schäkern.
Mittlerweile sammelten sich Schaulustige um ihn und bildeten einen Kreis. Kinder zeigten mit dem Finger auf ihn und
Weitere Kostenlose Bücher