Das Gold der Lagune: Historischer Roman (German Edition)
riefen ihm etwas in polnischer Sprache zu, was er im Stimmengewirr nicht verstand. Zwei Männer, die sich schwer auf Gehstöcke stützten, nickten zum Gruß. Eine junge Frau in einem feinen Gewand lächelte schüchtern. Piet atmete aus, nahm seine Jonglierbälle aus dem Lederbeutel, den er in einer eingenähten Tasche seines Umhanges verbarg, und verwandelte sich mit der ersten komischen Grimasse, dem ersten Lachen in Victorius, den Hofnarren des Königs und angesehenen Könner seiner Zunft.
»Oh!« und »Ah!« riefen die Zuschauer, als er erst mit drei, dann mit vier und schließlich mit fünf Bällen jonglierte, sie immer wieder hochwarf und dazu einen Hofknicks nach dem anderen vorführte. Doch obwohl die Leute sich vor Lachen die Bäuche hielten, blieb es in seinem Inneren kalt. Victorius sehnte das Ende der Vorstellung herbei, den Moment, in dem er seine Kostümierung ablegte und wieder zu Piet Kerklich wurde, dem Mann, dessen Gefühle zwischen Trauer und Freude schwankten wie ein in Seenot geratenes Schiff.
Ja, wäre Jadwiga hier inmitten dieser begeisterten Menge, mit Freuden würde er sie die nächsten Stunden belustigen! Die Königin wäre glücklich, wenn sie wüsste, dass der Mörder von Cristins Mann gerichtet und ihre Freundin mit ihrer kleinen Familie in Sicherheit war, durchfuhr es ihn. Victorius verscheuchte den Gedanken, zwinkerte einem kleinen Mädchen mit geröteten Wangen zu und stimmte ein Lied an.
»Schöner Edelstein Polens, geliebt wirst du sein für alle Zeiten. Deine Güte, dein Licht werden über uns strahlen, uns erinnern, wie es einst war, als du uns deine Liebe und Hoffnung schenktest. Arme und Kranke hast du getröstet, alles für uns gegeben. Doch nun bleibst du stumm, dein Licht ist erloschen. Gesegnet seist du, Jadwiga, geliebte Königin.«
Ein Raunen ging durch die Menge. Viele stimmten in die einfache, selbst erdachte Melodie ein, andere schlugen ein Kreuz über der Brust. Eine runzelige Alte wischte sich Tränen aus dem wettergegerbten Gesicht und ging gesenkten Hauptes davon. Piet blickte ihr einen Augenblick lang nach. Dann verbeugte er sich und verließ den Platz.
Den beiden Reitern, die ihn bei seinem Auftritt beobachtet hatten und die nun in die entgegengesetzte Richtung davonritten, maß er keine Bedeutung bei.
26
Hamburg
D er Nachmittag neigte sich dem Ende zu. Ein Strahl Septembersonne fiel auf die Tischdecke, die Cristin vor sich ausgebreitet hatte, und ließ die feinen Goldfäden in den eingestickten Ornamenten aufleuchten. Sie lächelte zufrieden. Wochenlang hatte sie daran gearbeitet. Die Auftraggeber wollten sie am folgenden Tag abholen. Einen Moment hielt sie mit der Arbeit an der Decke inne, welche die Frau eines angesehenen Kaufmanns bestellt hatte, und blickte aus dem Fenster. Das muntere Vogelgezwitscher im Garten des Nachbarn sowie Elisabeths helles Lachen lockten sie ins Freie, doch sie wollte auf jeden Fall noch die Stickereien fertigstellen. Also senkte sie den Kopf wieder über den Stickrahmen und summte eins der Lieder, die Piet so gerne sang.
Da klopfte es an die Tür der Spinnerei. Als Cristin den Bader Ludewig Stienberg erkannte, war die Freude groß, denn sie hatten sich schon eine Weile nicht mehr gesehen.
»Kommt mit mir in die Küche, Ludewig. Minna wird uns ein schmackhaftes Abendessen bereiten.«
Mit dem Kind an der Hand machte sich Cristin auf den Weg in die Küche. Der Bader folgte ihr.
Minna stand an dem neuen Herd, den Baldo von einem Steinmetz hatte mauern lassen. Sie wischte sich die Hände an einem Tuch ab, nickte dem Gast zu und wies auf einen Topf, der auf dem eisernen Rost über der Öffnung der Feuerstelle stand.
»Gott zum Gruß, Herr Stienberg. Bleibt Ihr zur Vesper?«
Er nickte. Die Lohnarbeiterin sah zu Cristin und kniff die Augen zusammen. »Ist Euch nicht wohl? Ihr seid so blass, Frau Schimpf.«
Elisabeth lief zu Lump hinüber, der sich unter dem Tisch ausgestreckt hatte und kroch zu ihm.
Die Hausherrin lächelte. »Nein, nein, Minna, es ist nichts. Mach dir keine Sorgen. Unser guter Ludewig wird bis morgen unser Gast sein, dann fährt er weiter in den Süden der Stadt, wie er mir eben erzählte. Dort soll es Fälle einer ansteckenden Krankheit geben, um die er sich kümmern möchte.«
Minna bekreuzigte sich schnell. »Doch nicht die Pestilenz, oder?«
»Gott bewahre!«, rief der Bader aus. »Habt keine Angst, gute Frau. Gebt mir lieber einen Becher von Eurem Wein.«
»Ja, tu das, Minna«, erscholl Baldos Stimme,
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