Das Gold der Lagune: Historischer Roman (German Edition)
aufbegehrte oder sich beklagte. Selbst Lynhards Verschwendungssucht hatte sie hingenommen. Bis zu jenem Tag, an dem seine Verbrechen nach und nach ans Licht gekommen waren. Die Wirklichkeit zu erkennen muss hart für sie gewesen sein, doch an dieser Prüfung ist sie offenbar gewachsen, sinnierte Cristin und ergriff über den Tisch hinweg Mechthilds Hand.
»Du wirst es schaffen, wenn es wirklich dein Wunsch ist.«
Die Schwägerin erwiderte den Druck ihrer Hand, lächelte und schwieg.
25
A ls Mirke am späten Nachmittag vom Köpfelberg zur Gropengrove zurückkehrte und die Tür von Alheyds Hütte öffnete, erwartete die Alte sie bereits.
»Hör zu, Deern, so geht das nicht weiter. Die paar Witten, die du beisteuerst, reichen einfach nicht.«
Die paar Witten? Mirke setzte zu einer scharfen Antwort an, verkniff sie sich jedoch um des lieben Friedens willen und presste die Lippen zusammen. Alheyd brachte in letzter Zeit immer weniger Männer mit. Soll sie doch froh sein, dass sie mich hat, sonst käme sie gar nicht über die Runden, dachte Mirke.
Am nächsten Morgen fing die Alte jedoch wieder davon an, und da war es mit ihrer Selbstbeherrschung vorbei.
»Soll ich etwa den Leuten die Geldbeutel vom Gürtel schneiden und mir dafür die Hand abhacken lassen oder was?«, schleuderte sie ihr entgegen und setzte hinzu: »Nur weil dich kaum noch ein Kerl anrühren mag!«
Alheyds Gesicht lief rot an. »Wie redest du eigentlich mit mir? Andere wären froh, wenn ich sie bei mir aufnehmen würde! Pack deine Sachen und verschwinde, du undankbares Weibsstück.«
Kurz darauf stand Mirke am Hafen, unschlüssig, was sie tun und wo sie die nächste Nacht verbringen sollte. Längst waren die Stimmen der Arbeiter verklungen, und kein Hammerschlagen oder Sägen war von der nahen Schiffswerft mehr zu hören. Sie rümpfte die Nase, denn das Wasser stank brackig nach der Beize, die die Gerber und Kürschner ins Wasser der Untertrave laufen ließen. In der trüben Brühe trieb mit dem hellen Bauch nach oben ein toter Fisch.
»Was machst du hier?«
Es war Emmerik, der Henker. Unwillkürlich trat sie einen Schritt zurück, doch schon fasste er nach ihrem Arm und hielt sie fest.
»Vorsicht, willst du etwa ins Wasser fallen und das neue Kleid ruinieren?« Er zog sie von der Kante des Kais fort, ließ sie los und musterte sie von oben bis unten. »Steht dir wirklich gut.«
War das etwa ein Lächeln, das seine schmalen Lippen umspielte? Was wollte der Mann von ihr? Eine Gegenleistung hatte er für sein Geschenk bisher nicht eingefordert. Auch wenn er den Wunsch geäußert hatte, sie wiedersehen zu wollen. Ob sie ihm bei Lynhards Hinrichtung aufgefallen war? Sie wusste inzwischen, wen sie vor sich hatte, aber wusste er auch, wer sie war?
»Hör zu«, unterbrach seine raue Stimme ihre Überlegungen. »Ich könnte jemand gebrauchen, der mir den Haushalt führt.«
Sie schüttelte stumm den Kopf.
»Warum nicht?«
»Du bist Emmerik Schimpf!«
»Na und?« Seine dunklen Augen senkten sich in ihre. Wenn er eben tatsächlich gelächelt hatte, so war davon nichts mehr zu erkennen. Seine Züge wirkten wie in Stein gemeißelt. »Verachtest du mich nun, da du weißt, dass ich Lübecks Scharfrichter bin? Du, eine Bettlerin und Hure?«
Mirke wich seinem Blick aus.
»Dachtest du, ich hätte dich noch nie bemerkt, bevor ich dich angesprochen und in die Schänke mitgenommen habe?«
Er verbeugte sich. Der Ton seiner Stimme war spöttisch. »Wir sind vom gleichen Stand, Mädel.«
Krakow, September 1399
Über den Dächern und Zinnen von Krakow hatte an diesem Morgen feiner Dunst gelegen, der die Bäume, Büsche und Weiden der Umgebung mit einem feuchten Schleier bedeckte. Doch nun, da die Sonne höher stieg, würde sie mit ihren Strahlen bald den Boden erwärmen. Piet hatte sich für seine erste Vorstellung an einem der Marktplätze rund um den Wawel eingefunden. Seine im Sonnenlicht bunt schimmernde Hose und das diesmal mit einer Paste aus Weizenschrot hell geschminkte Gesicht ließen die Leute schon von weitem erkennen, was er war. Ein Narr, geübt darin, die Menschen zum Lachen und Staunen zu bringen.
Piet – oder Victorius, wie er sich auch nannte – summte ein Lied vor sich hin. Cristin hatte ihm über einen Boten mitteilen lassen, dass Lynhard auf dem Richtplatz Lübecks gehängt worden war. Piet wusste, wie schwer die Vergangenheit auf Cristins Seele lastete, wie oft sie nach all der Zeit immer noch unter Albträumen litt. Ein Lächeln
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