Das Gold der Lagune: Historischer Roman (German Edition)
Wahrscheinlich liefen noch mehr Bälger von ihm in der Stadt herum. Nachdem sie einsehen musste, dass er dieses Kind nichtwollte, war sie versucht, die Frucht abzustoßen. Nachts sann sie auf Rache, wälzte sich schlaflos und mit wundem Herzen im Bett. Heimzahlen wollte sie es dem feinen Herrn Bremer, dem selbstgefälligen Schnösel!
Irgendwann musste sie sich jedoch zähneknirschend eingestehen, dass sie immer wieder neue Ausreden für sich erfand, warum sie weder an diesem noch an einem anderen Tag den Weg zu einer der Engelmacherinnen von Lübeck einschlug, um das Kind loszuwerden. War sie nicht auch ohne diese missliche Schwangerschaft eine Ausgestoßene, nachdem nun alle Bürger der Stadt von der Liebschaft mit Lynhard wussten? Je länger sie jedoch darüber nachsann, umso mehr verfestigte sich in ihr der Wunsch, das Kind auszutragen. Als ihre Familie sie obendrein noch verstieß, weil sie Schande über sie gebracht hatte, erwachte in ihr ein unbändiger Trotz. Endlich würde es ein Wesen geben, das sie lieben könnte. Sie wäre nicht mehr allein. Nachdem die Entscheidung gefasst war, das Kind zu behalten, fiel ihr eine Zentnerlast von der Seele und gab ihr neue Zuversicht. Aber dann hatte sie das Kind verloren und alle Hoffnung auf ein schöneres Leben war dahin.
Während Emmerik die junge, abwesend wirkende Frau beobachtete, die nach dem Tod seiner lieben Marie Tisch und Bett mit ihm teilte, schweiften seine Gedanken immer wieder ab zu Baldo. Gern hätte er noch ein paar Worte mit dem Jungen gesprochen, dort am Köpfelberg, nachdem sie Lynhard Bremer gemeinsam aufgeknüpft hatten. Doch Baldo war ebenso schnell verschwunden, wie er aufgetaucht war. Wie mochte es ihm in Hamburg ergehen, zusammen mit der Frau, die er einst selbst in die Grube gestoßen hatte, die nun den Namen Schimpftrug und seine Schwiegertochter war. Wie seltsam das Leben manchmal spielte.
Ob Cristin Bremer , dieses verteufelt hübsche Weib, sich wohl jemals hätte träumen lassen, einmal einen Henker zum Schwäher zu haben? Ihn, den eigenen Vater, hatte das Brautpaar jedenfalls nicht zur Hochzeit eingeladen. Sicher schämten sich die beiden seiner, dabei war Baldo auch nicht besser angesehen. Er würde es nicht leicht haben, solltein Hamburg bekannt werden, wer der Mann der neuen Goldspinnerin war. Baldo würde seine Vergangenheit sein Leben langverleugnen müssen, wenn er zwischen all den Pfeffersäcken und feinen Leuten der Hansestadt ein achtbares Leben führen wollte.
30
Hamburg
B aldo stieß die Haustür auf und trat in den Flur. Er nahm die Mütze ab, hängte sie an einen Haken und schlüpfte aus der Jacke.
»Was für ein Sturm draußen!«
Cristin erschien in der offenen Küchentür. »In Italien soll es selten stürmisch sein, und die Sonne scheint auch meistens, heißt es.«
»Cristin!« Zwischen seinen Augenbrauen bildete sich eine steile Unmutsfalte. »Ich lasse dich ganz bestimmt nicht noch einmal eine Reise machen, ohne dich zu begleiten. Noch dazu eine so weite! Schlag dir die Sache aus dem Kopf, Weib! Oder glaubst du, ich will mit einer Schwangeren im Winter unterwegs sein? Hast du eine Ahnung, wie leichtsinnig das ist? Nein, das muss warten, bis unser Kind auf der Welt ist und alt genug, um uns begleiten zu können.«
»Nenn mich nicht immer Weib«, erwiderte sie scharf, aber schon im nächsten Augenblick umspielte ein Lächeln ihre Mundwinkel.
Ihr Lächeln brachte ihn zur Raserei. Seit einer Woche ging es in ihren Gesprächen fast nur noch darum, dass Cristin nach Venedig reisen wollte, um diesen Enrico de Gaspanioso zu treffen. Venedig! Diese Frau hatte mehr Unsinn im Kopf als eine Horde Halbwüchsige!
»Denkst du, der Mann schickt dir eine Begleitung, wie Jadwiga es getan hat?« Er verschränkte die Arme vor der Brust und bemühte sich um einen väterlichen Tonfall. »Außerdem können wir die Werkstatt nicht solange schließen.« Unwillkürlich schweifte sein Blick zu ihren reizvollen Rundungen. »Oder willst du das Leben unseres Kindes gefährden?«
»Ich werde fahren. Ich verspreche dir, vorsichtig zu sein. Baldo, wir können nicht noch Jahre ins Land ziehen lassen. Jadwiga hat mich bei de Gaspanioso empfohlen. In absehbarer Zeit wird er meinen Namen vergessen haben. Verstehst du denn nicht, was dieser Tuchhändler für unsere Zukunft bedeuten könnte?«
Sie trat auf ihn zu und schlang die Arme um seinen Nacken. Spielerisch knabberte sie an seinem Ohrläppchen. Baldo zog sie an sich und erwiderte ihre
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