Das Gold der Lagune: Historischer Roman (German Edition)
er die Praxis geöffnet hielt. Abends würden Minna und er, sofern es noch hell genug war, selbst Hand an der Brandstelle anlegen. Die Lohnarbeiterin erklärte sich indessen bereit, sich um Ludewigs Haushalt und das Badehaus zu kümmern, bis die Schimpfs von der Reise zurückkehrten und wussten, wo sie fortan leben würden.
»Habt Ihr es schon gehört, Hinrich? Im Norden hat es letzte Nacht gebrannt!«
Die an den Wirt gerichteten Worte des Gastes, der soeben den Schankraum betrat, ließen Mirke aufhorchen. Ihr Herz schlug schneller.
Hinrich Peters stellte einen bis zum Rand gefüllten Becher mit Wacholderbier auf die Tischplatte. »n’Abend, Runge«, begrüßte er den Mann. »Gebrannt, sagt Ihr? Wo denn?«
Die Fingerspitzen der jungen Frau kribbelten, während sie Krüge ausspülte und abtrocknete, um sie wieder ins Regal zu stellen. Sie spitzte die Ohren. Der andere, der Kleidung nach ein Bürger der Hansestadt, griff nach dem Becher, nahm einen kräftigen Schluck und wischte sich den Schaum von den Lippen.
»Kennt Ihr die Goldspinnerei in der Breiten Straße am Pferdemarkt? Die Werkstatt und das Wohnhaus daneben … beides bis auf die Grundmauern niedergebrannt!«
Der Brand hatte sich also schon herumgesprochen. Das geschah der Hochnase recht. Mirke warf den Männern einen verstohlenen Blick zu. Der Wirt mit der rot geäderten Nase verschränktedie Arme über dem prallen Leib. Seine Schürze wies Flecken unterschiedlichster Herkunft auf.
»Kanntet Ihr die Besitzer?«
Der Rothaarige nickte. »Gute Leute«, meinte er und griff erneut nach dem Becher. »Ich glaube, sie stammen aus Lübeck.«
»Ist jemand zu Schaden gekommen, Runge?«
»Ich glaube nicht. Es heißt, die Besitzer seien derzeit auf Reisen.«
»Dann ist ja gut. Wollt Ihr etwas essen?«
»Habt Ihr einen Braten auf dem Spieß?«
Hinrich Peters nickte. »Ein Ferkel, frisch geschlachtet.«
Der andere leckte sich die Lippen. »Dann her damit. Und vergesst nicht, großzügig mit Eurer guten grünen Soße zu sein.«
»Weiß schon, Runge, die mit den vielen Kräutern und Gewürzen.« Der Wirt wandte sich zu Mirke um, die der Unterhaltung aufmerksam gelauscht hatte. »Steh hier nicht herum und halt Maulaffen feil, Mädel. Geh lieber in die Küche und sag meinem Weib, es soll dem Herrn eine ordentliche Scheibe von dem Spanferkel abschneiden.«
Mirke wollte auf dem Absatz kehrtmachen, doch Peters fasste nach ihrer Schürze und hielt sie fest.
»Bring ihm auch noch einen Becher Bier. Meine gute Soße wird ihn durstig machen.«
Der andere lachte.
Sie lief durch die sich stetig füllende Schankstube in die Küche, wo über der Feuerstelle das Ferkel auf einem Spieß steckte. Sie hoffte, dass niemand ihre wachsende Erregung bemerkte. Gerade fasste die Köchin nach der Kurbel und drehte sie ein wenig. Fett tropfte zischend in die Flammen.
Mirke griff nach einem der bereitstehenden Holzteller. »Eine dicke Scheibe«, bat sie, ohne das Beben in ihrer Stimme ganz verstecken zu können.
Doch ihre Gedanken waren bei der abgebrannten Goldspinnerei. Gleich am folgenden Morgen wollte sie noch einmal hingehen. Und dann nach Lübeck zurückkehren, um dem guten Emmerik eine rührselige Geschichte von dem Treffen mit ihrem Onkel aufzutischen.
An zwei Torwächtern vorbei schritt die Gefährtin des Henkers durch das Spitaltor. Die kräftigen, mit einer Hellebarde bewaffneten Männer musterten sie von Kopf bis Fuß. Als einer der beiden einen leisen Pfiff ausstieß, tat sie, als bemerkte sie es nicht, und ging einfach weiter. Erst nachdem sie die Stadtmauer ein ganzes Stück hinter sich gelassen hatte, blieb sie auf der gepflasterten Straße stehen und sah sich ein letztes Mal um. Die Herbstsonne warf gleißende Lichtpunkte auf die Dächer und Turmspitzen der Kirchen. Es versprach, ein schöner Tag zu werden.
Ihre Lippen hoben sich zu einem Lächeln. Sie hatte nicht widerstehen können, ihr Werk noch einmal zu betrachten, zumal die Breite Straße auf dem Weg lag. Sie hatte gründliche Arbeit geleistet: Da gab es nichts mehr, was es zu retten lohnte. Wo die Alte wohl mit dem Kind Obdach gefunden hatte? Zügig und beschwingt schritt sie aus. Es war noch früh und die Straße menschenleer, nur einige Vögel pickten zwischen den Pflastersteinen herum.
Als sie hinter sich das Geräusch von Wagenrädern vernahm, trat sie zur Seite. Es war ein Ochsenkarren, der langsam an ihr vorbeirollte. Auf dem Kutschbock saßen zwei Männer, der jüngere mochte kaum älter als sie
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