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Das Gold der Lagune: Historischer Roman (German Edition)

Das Gold der Lagune: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Das Gold der Lagune: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerit Bertram
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wäre sie in einem bösen Traum gefangen. Trotz ihrer reifen Jahre waren Minnas Züge beinahe faltenlos und strahlten Wärme und Sanftmut aus. Sogar die meisten Zähne besaß sie noch.
    Ludewig unterdrückte ein Grinsen. Auch ihre scharfe Zunge hatte er inzwischen kennengelernt. Er griff nach einer weiteren Brotscheibe, die er großzügig mit Butter und Honig bestrich. Lump bellte und hob eine Pfote. Der Bader warf ihm einen Knochen hin, den er vom letzten Abendessen übrig hatte. Der Hund fing ihn blitzschnell auf und zog sich damit unter den Tisch zurück. Ludewig richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf Cristins Lohnarbeiterin und Kindermädchen.
    »Verehrte, nun grämt Euch nicht so. Zum jetzigen Zeitpunkt kennen wir das Ausmaß des Schadens noch gar nicht. Vielleicht kann das Haus der Schimpfs ja wieder aufgebaut werden.«
    Trotz ihrer stämmigen Erscheinung wirkte Minna plötzlich klein und gebrechlich. Aus einem Impuls heraus legte er seine Hand über ihre, die noch immer den Becher umklammerte.
    Sie ließ es geschehen, denn im Geist erlebte sie jene Schreckensmomente ein weiteres Mal, als der treue Lump sie aus dem Schlaf geweckt und sie das Feuer entdeckt hatte.
    »Da war so viel Rauch, ich … ich konnte kaum etwas sehen«, flüsterte sie und wischte sich mit der anderen Hand über die Augen. »Ich verstehe nicht, wie ich so unachtsam sein konnte. Gewiss habe ich ein Fenster nicht richtig verschlossen, und der Wind hat eines der Lichter umgestoßen.«
    »Mit Gewissensbissen müsst Ihr Euch wahrlich nicht plagen«, entgegnete der Bader ruhig. »Ohne Euer rasches Handeln wärt Ihr jetzt schließlich alle tot!«
    Sie schüttelte seine Hand ab und erhob sich von ihrem Stuhl.
    »Wo wollt Ihr hin?«
    »Nach Elisabeth sehen.«
    »Nach den Aufregungen der letzten Nacht schläft die Kleine gewiss friedlich.«
    Vermutlich hat er recht, pflichtete sie ihm insgeheim bei. Elisabeth hatte, wie sie an den geschwollenen Lidern des Baders ablesen konnte, vermutlich als Einzige ruhig geschlafen. Minna betrachtete ihr Gegenüber genauer. Sie kannte den Freund der Schimpfs als lauten und zuweilen recht eigenbrötlerisch wirkenden Mann, der das Herz jedoch auf dem rechten Fleck trug. Doch die Feinfühligkeit, mit der er sie behandelte, offenbarte eine ganz neue Seite an ihm.
    »Mag sein, dass die Lütte noch schläft«, gab sie zurück. »Aber ich kann hier nicht untätig herumstehen. Ich muss etwas tun.«
    Er nickte mitfühlend.
    »Also gut, dann nehmt diesen Lump von einem Hund mit. Es ist schon fast hell, und ich denke, er braucht einen Spaziergang, um seine Blase zu leeren. Ich achte solange auf das Kind. Die Praxis werde ich heute nur für Notfälle öffnen.«
    »Das ist wirklich nett von Euch«, stammelte Minna und schlug sachte mit der Hand gegen ihren Oberschenkel, um Lump an ihre Seite zu rufen.

36
    M innas Füße führten sie wie von selbst zu der Stelle, an der am vergangenen Tag noch die Spinnerei und das Wohnhaus gestanden hatten. Einige Krähen erschraken von den Lauten ihrer Schritte und erhoben sich in die Luft. Schon von weitem vernahm sie Stimmengewirr, und sie erkannte die Nachbarn der Schimpfs, die sich allesamt eingefunden hatten, um die Schäden des Brandes zu begutachten. Sie war dankbar für das schlichte Gewand und die Schuhe, die der Bader ihr am vergangenen Abend besorgt hatte. Das Kleid zwickte zwar ein wenig am Ausschnitt und an den Schultern, aber es war sauber und nur wenig geflickt.
    Zögernd ging sie auf eine kleine Gruppe zu, die mit dampfenden Bechern vor dem ehemaligen Eingang der Werkstatt stand. Unter ihnen war auch Friedhelm, der neue Geselle. Als er der Lohnarbeiterin gewahr wurde, trat er, ganz bleich um die Nase, auf sie zu.
    »Was ist denn hier passiert?«
    Minna seufzte und berichtete ihm in wenigen Sätzen von dem Unglück. Dann wandte sie sich ab und richtete ihre Aufmerksamkeit auf die Werkstatt, von der fast nichts als die Mauern und ein paar Balken stehen geblieben waren, die beinahe trotzig in den blauen Himmel ragten. Vom Wohnhaus standen nur noch die Grundmauern, wobei der Boden von allerlei verkohlten Überresten übersät war, die aussahen, als hätte ein wütender Riese sie wahllos herabgeschleudert.
    Die ältere Frau erkannte Teile der Treppe und den zerborstenen Rahmen eines Fensters. Sie gab dem Hund einen Wink, sitzen zu bleiben und auf sie zu warten, straffte die Schultern und trat näher. Der Gestank war unerträglich und schien durch jede Pore zu dringen. Die

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