Das Gold der Maori - Das Gold der Maori
geküsst hast!«, rief Claire entsetzt.
»Es war ja nicht nur auf die Wange, ich …« Kathleen hob zueinem längeren Geständnis an, aber Jimmy Dunloe stoppte ihren Redefluss.
»Kathleen, ob und was Sie beichten wollen, geht nur Sie etwas an«, sagte er ruhig. »Aber was den Jungen angeht, möchte ich Ihnen einen Rat geben. Schauen Sie, in jeder Familie gibt es schwarze Schafe. In unteren Schichten werden die kriminell, und Ihr Colin ist auf dem besten Weg dahin. Aber in der besseren Gesellschaft gibt es Möglichkeiten – und nach allem, was ich von Ihren Geschäften weiß, können Sie sich das leisten. Schicken Sie den Jungen nach England auf ein gutes College, noch besser eine Militärakademie. Ich werde mich nach den passenden Internaten erkundigen.«
»Aber er will nicht zur Schule!«, wandte Kathleen ein.
Jimmy Dunloe schüttelte gelassen den Kopf. »Kathleen, er hat nichts zu wollen! Und eine Militärlaufbahn wäre ihm vielleicht auch lieber als eine rein akademische Ausbildung. Jedenfalls ist das seine letzte Chance, Kathleen. Hier rutscht er ab, und Sie können ihn nicht hindern.«
»Aber wir sind Iren!«, flüsterte Kathleen. »Ich kann doch meinen Sohn nicht zum englischen Militär schicken. Das … das sind unsere Feinde! Das wäre Verrat, das wäre …«
»Womöglich noch schlimmer als einen anglikanischen Reverend zu küssen?«, warf Claire ein.
»Die nehmen doch auch gar keinen Iren!«, hoffte Kathleen.
Jimmy Dunloe zuckte die Schultern. »Vielleicht findet sich ja eine irische Militärakademie, obwohl ich das nicht glaube. Aber ich könnte Ihnen helfen. Natürlich nur, wenn Sie’s wollen. Übrigens – was mich angeht: Ich hab ein dickes Fell. Ich bleibe in Neuseeland, und sobald es möglich ist«, er lächelte Claire zu, »werde ich eine geschiedene Frau heiraten. Da kommt’s auf einen sowohl unehelichen als auch ungeratenen Sohn auch nicht mehr an. Wir können Ihr Früchtchen als Colin Dunloe anmelden. Waschechter Brite aus bester Familie. Wenn auch nicht erbberechtigt, das müssen wir vertraglich klären. Sein Vermögen muss er sich schon selbst schaffen!«
Kathleen biss sich auf die Lippen und kämpfte gegen die Tränen. Ein hochherziges Angebot – und der zweite Sohn, der unter einem falschen Namen aufwachsen sollte. »Das … das ist sehr nett«, murmelte sie. »Nur … Die britische Armee! Er bleibt doch Ire.«
Claire verdrehte die Augen. »Kathleen, du willst das nicht wirklich ablehnen! Gerade die britische Armee! Die ist schon mit anderen irischen Dickköpfen fertig geworden!«
Kathleen sah sie böse an. Aber es war nicht zu leugnen. Wenn sie Dunloes Angebot ausschlug, würde Colin irgendwann im Gefängnis landen. Fragte sich bloß, ob das nicht ehrenhafter war als die Royal Army … Michael hätte es zweifellos so gesehen. Und Ian? Nun, der hätte eine Position bei der Army sicher als Sprungbrett genutzt, der Königin ein lahmes Pferd unterzujubeln. Kathleen musste bei diesem Gedanken lächeln.
»Schlafen Sie einfach mal drüber!«, riet Dunloe freundlich. »Aber ich sag’s Ihnen gleich, etwas Besseres wird uns nicht einfallen.«
Ein paar Wochen später reiste Colin Dunloe Coltrane mit nagelneuen Papieren als englischer Staatsbürger nach Woolwich, London, um der Royal Military Academy beizutreten. Die Ausbildung reizte ihn wenig, die Stadt London aber umso mehr, und eine künftige Karriere beim Militär erschien ihm auch als annehmbare Option für die Zukunft. Irischer Patriotismus stand ihm dabei nicht im Wege. Sein Vater hatte zwar stets über die Engländer geschimpft, ihnen aber doch einen gewissen Respekt gezollt. Die Engländer waren die Sieger. Sie hatten gewonnen, hatten Irland besetzt. Ihre Königin beherrschte die halbe Welt. Colin reizte ihre Macht, auch er wollte herrschen. Und wenn er dazu Engländer werden und die rote Uniform anziehen musste, so sollte es ihm recht sein.
K APITEL 2
Lizzie verbrachte auf den Goldfeldern der Maori den schönsten Sommer ihres Lebens. Michael und sie hatten ihr Zelt oberhalb des Wasserfalls aufgeschlagen, und morgens berauschten sie sich an der Aussicht über die Berge und kleinen Seen, die Otagos Landschaft prägten. An klaren Tagen konnte man fast bis Tuapeka sehen. Das Leben in der Goldgräberstadt, der Mord an Chris Timlock und Lizzies Rache an Ian Coltrane schienen inzwischen weit entrückt. Lizzie und Michael lebten von der Jagd und vom Fischfang – meistens von Letzterem, schließlich gab es keine Kaninchen oder
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