Das Gold des Bischofs
Diensten zu sein.
»Die Art, wie Turgot Roger behandelt hat, war grob und ungerecht«, fuhr Eleanor aufgebracht fort. »Er hätte wissen müssen, dass Roger so etwas nie absichtlich tun würde.«
»Genau«, stimmte Roger verdrossen zu.
»Und dann hat er auch noch gedroht, es jedem zu erzählen«, sagte Eleanor, lehnte sich zurück und blickte Geoffrey an. Tropfen spritzten von ihrem Löffel auf das Kleid, aber die tief empfundene Ungerechtigkeit von Rogers Behandlung setzte ihr derart zu, dass sie es gar nicht bemerkte.
»Wäre das so schlimm gewesen?«, fragte Geoffrey und entschied, lieber an dem Gespräch teilzunehmen, bevor ihr eng anliegendes Kleid ihn wieder ablenkte. »Wenn jeder davon erfahren hätte, dann könnte Turgot Roger jetzt nicht erpressen.«
Eleanor knurrte verächtlich und wedelte mit dem Löffel in seine Richtung. »Was für eine dumme Aussage. Ihr müsst Euch nur den Kreuzzug vor Augen halten, um zu sehen, was Menschen alles tun, wenn sie die Dinge verteidigen wollen, die sie als heilig ansehen.«
Geoffrey glaubte nicht, dass die meisten Kreuzfahrer von religiöser Inbrunst angetrieben wurden. Einige waren gläubige Männer und ernsthaft der Meinung, Jerusalem sollte in christlicher Hand sein, aber sie waren in der Minderheit.
»Hätten die Leute erfahren, was Roger getan hat, so hätten sie ihm an jedem Missgeschick in der Stadt die Schuld gegeben«, fuhr Eleanor fort. »Die Menschen brauchen immer jemanden, dem sie die Schuld geben können, wenn sie unzufrieden sind.«
»Leute bestimmen gern einen Sündenbock, wenn sie mit Situationen umgehen müssen, auf die sie keinen Einfluss haben«, stimmte Geoffrey ihr zu und achtete darauf, möglichst neutral zu bleiben.
»Allerdings«, sagte Eleanor. »Roger wäre für alles Unangenehme verantwortlich gemacht worden â für die Missernte letztes Jahr, für den Brand in der Zehntscheuer. Er hätte hier nie wieder in Frieden leben können.«
Damit hatte sie womöglich Recht. Viele Menschen waren abergläubisch und einfältig. Roger wäre zum Sündenbock gemacht worden, und auch wenn ihn das Volk vermutlich nicht auf offener StraÃe erschlagen hätte, wäre das Leben für ihn und seine Familie doch nicht leicht gewesen. Und das hätte auch Flambard betroffen. Kein Wunder, dass der Bischof es so eilig gehabt hatte, seinen Sohn ins Heilige Land zu senden.
»Es war nur ein Irrtum«, wiederholte Roger. »Ich brauchte einen Kerzenhalter.«
Geoffrey versuchte, nicht zu lächeln. »Und ganz zufällig hast du dich für den Schädel des Heiligen Oswald entschieden â eine der meistverehrten und heiligsten Reliquien von Nordengland.«
»Ich hatte ja keine Ahnung, dass das schimmernde Silberkästchen im Arbeitszimmer meines Vaters ein Reliquienschrein war«, wandte Roger ein, als hätte man es nur dort hingestellt, um ihn in die Irre zu führen.
Roger hatte Geoffrey nach ihrer Unterredung mit dem Prior ein weiteres Mal mitgenommen, um Durhams Reliquien zu besichtigen. Der Schrein mit Oswalds Kopf allerdings fiel durch seine Abwesenheit auf â ein Sachverhalt, nach dem Geoffrey Roger schon bei ihrem ersten Aufenthalt in dem Heiligtum gefragt hatte. Verlegen lieà sein Freund ihn wissen, dass der Schrein im Hochaltar untergebracht worden sei, damit Oswald sich von der Erniedrigung erholen könne, die er durch Rogers Hände erduldet hatte. Geoffrey wusste genau, dass viele Heilige während der oft turbulenten Reisen nach ihrem Tod grob angefasst wurden, und dachte bei sich, dass diese übertriebene Fürsorge nicht notwendig gewesen wäre.
»Du hast meine Sicht der Dinge noch nicht gehört«, stellte Roger unglücklich fest.
»Doch â mehrmals«, erwiderte Geoffrey.
Roger räusperte sich und erzählte seine Geschichte ein weiteres Mal, als hätte Geoffrey gar nichts gesagt. »Nach einem Abend in der Schenke beschloss ich, meinen Vater zu besuchen. Er war beschäftigt, also wartete ich in seinem Amtsraum. Der nachlässige Diener hatte mir kein Licht dagelassen, und ich wollte verdammt sein, wenn ich im Dunkeln sitzen würde. Deshalb hab ich eine Kerze angezündet, aber die fiel immer wieder um.«
»Er brauchte einen Kerzenhalter, seht Ihr«, führte Eleanor für ihn aus. »Er wollte nichts Lästerliches tun. Es war alles ganz
Weitere Kostenlose Bücher