Das Gold des Columbus
Februars war der Strand von Santa Gloria schwarz vor Menschen.
»Es müssen hunderte sein. Oder sogar tausende. Das hast du gut gemacht, Fernan. Wenn der Mond voll sichtbar ist, werde ich in den Mastkorb klettern. Aber ich werde erst nach Mitternacht anfangen zu reden.«
Als die plötzliche Dunkelheit herabfiel und alle Farben und Umrisse auslöschte, rollte Fernan ein leeres Fass vor die Palisade.
Darauf stellte er sich, sobald die Mondscheibe silbern hinter den turmhohen Bäumen emporstieg. Nach einiger Zeit flammte im Mastkorb der Capitana eine Fackel auf und beleuchtete die mächtige Gestalt in dem roten Mantel, der sich in der leichten Brise wie eine Fahne blähte. Die weißen Haare des Admirals leuchteten so silbern wie der Mond. Am Strand wurde es still wie in einer Kirche.
»Unser Gott, der im Himmel wohnt, belohnt die Guten und bestraft die Bösen.« Die Stimme des Admirals klang wie eine Fanfare. »Die Bösen, die sich gegen mich aufgelehnt haben, hat er nicht nach Española kommen lassen, wohl aber die Guten, die ich gesendet habe. Er hat den Bösen Not und Gefahren geschickt, wie jeder auf dieser Insel weiß. Jeder weiß auch, dass ich Verträge geschlossen habe über die Lieferung von Lebensmitteln. Ich bin ein Bote Gottes, trotzdem lasst ihr mich und meine Leute hungern. Mein Gott ist sehr erzürnt darüber. Aber ehe er euch zur Strafe Krankheit und Hunger schickt, will er euch eine Bedenkzeit lassen, denn er ist ein milder Gott. Er wird euch ein Zeichen am Himmel geben, damit ihr seinen Zorn erkennt und euch bessert.«
Er machte nach jedem Satz eine Pause, und Fernan übersetzte, so gut er konnte. Am Ende der Rede erklang ein wildes Durcheinander von Johlen und Gelächter. Selbst den Sprachunkundigen musste klar sein, dass die Indianer nichts als Hohn und Spott für die Worte des Admirals hatten.
Stand der Mond nicht groß und voll am Himmel? Litten nicht die Weißen Krankheit und Hunger, trotz ihres Gottes? Waren die Leute von Jamaica nicht satt und zufrieden? Sah der goldhaarige Sohn des alten Königs nicht aus wie ein Gerippe? Hörner und Trommeln und Rasseln ertönten und machten sich lustig über die Weißen. Fernan schickte ein Stoßgebet zum Himmel. Wenn der Regiomontanus sich verrechnet hatte, würden sie verhungern.
Der Admiral stand reglos. Er schwebte hoch über den dunklen Schiffen wie eine Erscheinung aus einer anderen Welt, beleuchtet vom Schein der Flamme, übergossen vom Glanz des Mondes. Langsam hob er beide Arme. Er hielt die Kanten des Mantels zwischen den Fingern, der rot leuchtende Stoff schwebte mit empor und umgab ihn wie eine glühende Muschel. Seine Hände wiesen zum Himmel.
Plötzlich schob sich ein schwarzer Saum über den Rand des Mondes. Innerhalb von Sekunden verstummten Hörner, Trommeln, Rasseln, Gelächter und Geschrei. Alle Gesichter wandten sich nach oben und verharrten so wie gebannt. Die zahllosen braunen Körper erstarrten. Keine Bewegung, kein Laut unterbrachen die Stille.
Der schwarze Saum wurde breiter. Der Himmel fraß den Mond! Ein tausendfaches Stöhnen entrang sich den Kehlen, schwoll an und verwandelte sich in schrille Laute des Entsetzens. Die Männer brüllten und reckten die Arme gegen den Himmel, die Frauen kreischten und warfen sich zu Boden, die Kinder quietschten und hielten sich voller Angst die Augen zu. Es war, als ob man jedem Einzelnen ein Messer an die Kehle setzen würde. Die armen Seelen im Fegefeuer können nicht grässlicher heulen, dachte Fernan schaudernd.
Auf einmal wichen die Menschen auseinander. Gassen bildeten sich in der Menge, durch die die Kaziken mit erhobenen Armen auf Fernan zueilten und sich ihm zu Füßen warfen.
»Wir flehen dich an, bitte für uns bei deinem Vater!«
»Wir werden alles bringen, was er befiehlt!«
»Wir werden ihm in allem gehorsam sein!«
»Wenn er mit seinem Gott redet, so wird er ihn erhören.«
»Wenn er ihn bittet, seinen Zorn von uns zu nehmen, so wird er uns nicht strafen.«
Fernan übersetzte mit lauter Stimme. Solange er sprach, war es totenstill, dann bekräftigten alle Indianer die Worte ihrer Fürsten mit lauten Rufen, warfen sich auf die Knie und streckten die Arme flehend dem Admiral entgegen.
»Ich werde tun, um was ihr mich bittet«, erwiderte der Admiral. »Ich werde mit meinem Gott reden.«
Und er löschte die Fackel.
Aber der Gott schien zu erzürnt zu sein, um auf ihn zu hören. Der dunkle Himmel nagte weiter am Mond und hatte ihn schließlich völlig verschlungen. Die
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