Das Gold von Karthago
herbeigetragen, kamen ihm Fetzen eines alten Liedes in den Sinn – Die Schiffe von Qart Hadasht, die blutigen Blätter der Ruder, Segel im Westen und sternestechender Mast und bärtige Männer mit Augen wie ferne Wunden …
Er gluckste leise. Keine Schiffe in Sicht, nur die salzige Bucht, die Felder und Weiden. Der Weg folgte einer dichten dunklen Hecke mit tiefroter Blütengischt; als sie die zwei Karren breite Zufahrt erreichten, konnte er jenseits einer Zypressengruppe das Haus eines Händlers oder Ratsherren sehen: ein zweigeschossiges Gebäude mit umlaufender überdachter Terrasse, zarten rötlichen Säulen und blendendweißen Wänden. Drei schwarze Pferde grasten unter den Bäumen.
Er streifte Laetilius mit einem Blick; der Römer schien entspannt und in die Landschaft versunken. Bomilkar tätschelte den Hals seines Reittiers, das die Ohren aufstellte, als rechts im überwucherten Graben ein Frosch quakte.
Wenn er die Augen auf die Ohren des Pferds gerichtet hielt, war alles andere – Landschaft, Hecken, Häuser, Meer – nur eine verschwommene, ungegliederte Gesamtheit. Er bemühte sich, diesen Eindruck zu bewahren, die Augen nicht anders einzustellen. ›Eigenartig‹, dachte er, ›dieses Gefühl, aus einem vielgestaltigen Gefängnis in gestaltlos verschwommene Freiheit gelangt zu sein‹. Dann blinzelte er und blickte wieder geradeaus. Für eine winzige Zeitspanne, weniger als ein Zehntel eines Atemzugs, glaubte er gleißende Streben in der Luft zu sehen, die Gitterstäbe des größeren Kerkers.
Der Weg bog nach rechts; links stand eine verwitterte Steinbank neben einem aufgemauerten Schöpfbrunnen, dahinter streunte ein Fußweg zwischen zwei Feldern entlang – Getreide und Gemüse – und versickerte unter Ölbäumen und Dattelpalmen, wo die Felder endeten.
Laetilius zügelte sein Pferd, ließ sich zu Boden gleiten und sagte, ohne Bomilkar anzusehen:
»Laß uns rasten, Wasser trinken, reden. Es ist nötig.«
Er schlang die Zügel um die Stange neben dem Brunnen, ließ den Eimer am langen Seil hinab, zog ihn hoch, trank tief und lang, goß sich Wasser über den Kopf und reichte Bomilkar das Gefäß. Danach tränkten sie die Pferde, setzten sich auf die Bank und achteten darauf, genug Raum zwischen sich zu lassen.
»Du haßt mich«, sagte Laetilius, »und diese … Arbeit, die wir tun. Aber sie muß getan werden.«
»Ich hasse nicht dich – dazu kenne ich dich nicht gut genug – , sondern das, wofür du stehst.«
»Nämlich?«
»Rom, die Vertragsbrüche, den aufgezwungenen Krieg, die geraubten Länder und Inseln.«
Laetilius schwieg einige Zeit; schließlich sagte er: »Dazu gibt es viele verschiedene Ansichten. Aber das hat zunächst einmal nichts mit der Sache zu tun.«
»Hat es doch.« Bomilkar starrte in die Augen des Römers. »Ich gehöre zu denen, die die Ordnung und Sicherheit der Stadt zu hüten haben. Ein römischer Händler wurde getötet – na und? Wen kümmert es? Er wird begraben. Oder seinen Leuten übergeben. Gut. Und weiter? Nichts weiter. Es gibt Diebe und Mörder in der Stadt, Unruhestifter, Schmuggler. Es gibt Kämpfer, die auszubilden sind und ihre Waffen üben sollen. Streifzüge wilder Numider, gegen die wir schnell ausrücken müssen. Gerüchte. Berichte. Nachrichten. Und« – er lachte unterdrückt – »es gibt Essen, Trinken, eine Frau. Einen Abend am Feuer, in der Schänke, eine Nacht auf dem geteilten Lager. Lieder und Tänze und Messer und Gedanken. Messer… Ich sehe voraus, daß ich einige Zeit nicht dazu kommen werde, Messerwerfen zu üben. All das. Statt dessen muß ich mit einem Römer, der mich belügt, einen Mord untersuchen, der hier niemanden berührt. Und warum? Weil Rom, bevor
es den nächsten Vertragsbruch begeht und uns wieder überfällt, plötzlich ungeheuren Wert darauf legt, Heimstatt der Gesetzestreuen zu spielen und um einen toten Händler mehr Aufhebens zu machen, als dies einem toten Konsul zustünde.«
»Ende der langen Rede?« sagte Laetilius; Belustigung zuckte um seine Mundwinkel, breitete sich aber nicht über das Gesicht aus. »Du irrst mehrfach. Lassen wir die Beziehungen zwischen unseren Städten mal beiseite. Ich belüge dich nicht, und dies Aufhebens um einen Toten ging von eurem Rat aus.«
»Vom Rat der Stadt?« sagte Bomilkar ungläubig. »Wieso?«
»Mit der Mitteilung, daß ein Römer hier getötet worden sei, kam die Aufforderung, einen guten Mann zu schicken, der die Leiche holen und sich um die Hintergründe kümmern
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